Das Lächeln der toten Augen
Recht darauf, zu wissen, was meine Tochter treibt und mit wem sie …«
»… sie es treibt?«
»Hör auf Paula, nicht so!«, schrie Trevisan. »Du wirst die nächsten drei Wochen hier zu Hause verbringen. Tante Klara wird nach dir schauen.«
Paula setzte sich auf. »Sollen wir zu einem Arzt gehen? Willst du überprüfen lassen, ob ich noch Jungfrau bin?«, sagte sie schnippisch.
Trevisan kochte. »Solange ich für dich die Verantwortung trage, wirst du tun, was ich dir sage.« Er wandte sich zur Tür, ohne auf eine Antwort zu warten, und schlug sie zu. Dann ging er hinunter in den Keller. Als er hinter seinem Schlagzeug saß und die ersten Takte gespielt hatte, fiel die Anspannung langsam von ihm ab. Er fragte sich, warum es nicht möglich war, vernünftig mit Paula zu reden. Warum entglitt ihm die Unterhaltung immer, bis sie schließlich in einem handfesten Streit endete? Trevisan schüttelte den Kopf.
*
Der Junge war gegen 18 Uhr mit dem Fahrrad in die Edenburgstraße eingebogen. Sie hatten ihn sofort erkannt. Die Beschreibung passte haargenau. Der Junge stellte sein rotes Rennrad vor dem Haus mit der Nummer 6 ab und ging auf den Eingang zu. Es war ein Mehrfamilienhaus. Sie wussten, dass er in diesem Haus zusammen mit seiner alleinerziehenden Mutter wohnte. Der Vater war schon vor Jahren abgehauen. Geschwister gab es ebenfalls nicht. Trotzdem würden sie auf eine Gelegenheit warten. Doch nun hatten sie die Witterung aufgenommen. Sie würden ihre Beute nicht mehr aus den Augen lassen. Sie würden ihn beobachten, Tag und Nacht. Ihm folgen, bis die Zeit reif war.
Er hatte etwas, das sie von ihm wollten. Er würde es ihnen geben, daran gab es keine Zweifel. Bislang hatten sie jeden so weit gebracht, dass er tat, was sie wollten. Sie hatten ihre Erfahrungen und sie scheuten sich nicht davor, auch das letzte Mittel anzuwenden. Sie mussten ihren Auftrag erfüllen. Es wurde von ihnen erwartet, und sie würden diese Erwartungen erfüllen.
Doch sie mussten vorsichtig sein. Niemand durfte Verdacht schöpfen, niemand durfte ihre Anwesenheit bemerken. Aber auch darin waren sie geübt. Der Mietwagen war schlicht und unauffällig und trug ein Wilhelmshavener Kennzeichen. Sie hatten ihn mitten zwischen den Fahrzeugen der hiesigen Anwohner geparkt. Sie saßen aufrecht darin, nicht zusammengekauert und geduckt, so wie man es in schlechten Detektivfilmen sah. Aufrecht, so als ob sie genau dort hingehörten und in eine angeregte Unterhaltung vertieft waren. Sich so öffentlich zu benehmen wie möglich, das war die beste Methode, um unauffällig zu bleiben.
7
»Kaum lässt man euch alleine, schon gibt es wieder Schwierigkeiten«, drang Angelas Stimme aus dem kleinen Lautsprecher des Telefons. »Hast du auch an die Folgen gedacht? In wenigen Tagen sind Ferien. Soll sie die ganze Zeit über zu Hause sitzen, während ihre Freundinnen die Sommertage genießen? Willst du sie einsperren?«
Trevisan fluchte innerlich. Daran hatte er bei all seiner Verbitterung nicht gedacht. Angela hatte recht, die Ferien begannen in drei Tagen. Tante Klara würde er wohl kaum zumuten können, sein Verbot zu überwachen, und ihm selbst blieb bei dem Beruf auch keine Zeit dafür.
»Ich habe nicht … daran hab ich nicht gedacht«, stotterte er.
»Ich glaube, du hast an vieles nicht gedacht«, erwiderte Angela. »Sie hat ein hervorragendes Zeugnis mit nach Hause gebracht, sie ist immer zuverlässig gewesen und sie ist intelligent, deine Tochter. Ich glaube nicht, dass sie sich dem Erstbesten an den Hals wirft. Knutschen, ein bisschen Fummeln, ich bitte dich, sie ist fünfzehn. Wann soll sie denn ihre Erfahrungen sammeln. Mit sechzig vielleicht?«
»Kannst du nicht mit ihr reden?«
»Ich bin nicht ihre Mutter«, antwortete Angela. »Ich kann nur versuchen, ihr eine gute Freundin zu sein. Du wirst das schon selbst erledigen müssen. Aber mit etwas mehr Verständnis.«
»Sie hat mich angelogen, außerdem ist der Kerl schon achtzehn, fährt ein Auto und hat ein Vorstrafenregister, das länger ist als mein Einkaufszettel fürs Wochenende«, murrte Trevisan. Er verstand Angelas Einwände nicht. Schließlich fühlte er sich im Recht. Warum hielten die Frauen, wenn es um solche Dinge ging, eigentlich immer zusammen?
»Ach so, du hast früher deinen Eltern immer alles erzählt. Du musst ein vorbildlicher Junge gewesen sein. Wahrscheinlich hattest du deine erste Freundin mit einundzwanzig und deine Eltern waren beim ersten Rendezvous dabei,
Weitere Kostenlose Bücher