Das Lächeln der toten Augen
oder?«
»Red keinen Quatsch, natürlich war ich auch jung und habe nicht immer alles erzählt. Das ist doch normal.«
»Ja, ganz normal, wie du selbst sagst«, wiederholte Angela seine Worte. »Also, was soll das, warum regst du dich so auf? Oder bist du am Ende vielleicht eifersüchtig?«
»Du spinnst wohl!«, schnauzte er.
»Hey, habe ich da vielleicht den tieferen Kern getroffen?«
Trevisan atmete tief durch. »Du findest es also ganz normal, dass ein fünfzehnjähriges Mädchen mit einem achtzehnjährigen Kerl durch die Gegend zieht, der in ein paar Jahren zu meinen besten Kunden zählen wird. Es ist also nichts dagegen einzuwenden, dass sie ihrem Vater erzählt, dass sie bei einer Freundin übernachtet, und sich dann heimlich mit diesem dahergelaufenen Burschen trifft, ihm Küsse auf die Backe haucht und mit ihm Ausfahrten unternimmt. Wer weiß, wohin. Der Kerl hat einen eigenen Wagen und … und …«
»… und ein Wagen hat Liegesitze«, vollendete Angela Trevisans Gedanken.
Trevisan schwieg.
»Ich kenne Paula«, sagte Angela nach einem Augenblick. »Sie weiß genau, was sie tut. Nur dir fehlt das Vertrauen. Das spürt sie. Vielleicht hat sie deshalb die Geschichte mit der Freundin erfunden.«
»Wie meinst du das?«
»Sie weiß genau, dass du sie nie zu einem Treffen mit einem Freund weggelassen würdest. Väter sind immer ein klein wenig eifersüchtig«
Trevisan überlegte. Traf Angela den Nagel auf den Kopf? Natürlich hätte er Paula ein Rendezvous nie gestattet. Das war doch klar. Schon gar nicht mit einem polizeibekannten Rabauken, der bislang nichts zuwege gebracht hatte, außer zu stehlen und mit seinen Fäusten um sich zu schlagen. Doch Trevisan erkannte auch, dass er in Angela keine Verbündete finden würde. Also wechselte er das Thema. »Wann kommst du denn zurück, weißt du schon den genauen Termin?«
Aus Angelas Timbre erkannte er, dass sie sein Spiel durchschaut hatte. »Ich denke, wir werden noch zwei bis drei Wochen brauchen. Wir schießen noch ein paar gute Aufnahmen aus der Wüste und vom Strand. Außerdem arbeite ich an einem Feature über einen Aborigine, den ich kennengelernt habe. Das wird bestimmt lustig. Der Mann ist schon steinalt. Niemand kennt sein genaues Alter, aber es heißt, er wäre an die hundert. Martin, sei mir nicht böse. Ich muss jetzt Schluss machen. Wir fahren in fünf Minuten los.«
»Dann pass gut auf dich auf«, sagte er. »Ich wünsche dir noch viel Erfolg mit deinen Geschichten, aber ich bin sicher, du hast ein gutes Händchen dafür. Ich warte auf dich.«
»Ich rufe dich am Sonntag wieder an. Bis dahin sind wir hoffentlich aus diesem Glutofen wieder zurück«, antwortete Angela, bevor sie das Gespräch beendete.
Trevisan steckte das Telefon zurück ins Ladegerät und blieb noch eine Weile gedankenverloren neben dem Apparat sitzen. Angela fehlte ihm. Seit drei Wochen befand sie sich mitten in Australien, um für das neu aufgelegte Reise- und Adventure-Magazin ihres Verlages Berichte, Reportagen und Features zu schreiben. Fotoreporter und Auslandsjournalisten begleiteten sie. Das neue Magazin war ihre Chance. Sie sollte die Redaktionsleitung übernehmen. Eine einmalige Gelegenheit, hatte sie gesagt, bevor sie aufgebrochen war. Trevisan hatte sie noch nach Hamburg zum Flughafen gefahren. Eigentlich hatte er gehofft, dass sie schnell wieder zurückkommen würde, doch nun musste er noch weitere drei Wochen warten. Was blieb ihm übrig? Er wusste, wie wichtig die Arbeit für Angela war.
Mike Landers hatte schlecht geschlafen. Er ging nicht in die Schule. Er blieb zu Hause, um weiter an seinem Plan zu arbeiten. Er würde den Weg, den er eingeschlagen hatte, unbeirrt weitergehen. Egal, was die anderen darüber dachten. Er war es Sven schuldig. Warum sollte Frau Jonas etwas verraten? Schließlich hatten mehrere Briefe im Briefkasten gelegen.
Er fühlte sich alleine und von seinen Freunden im Stich gelassen. Mit Sven Halbermann hatte er seinen besten Freund verloren. Nach dem gestrigen Treffen mit der Clique am Banter See wusste er, dass er ganz auf sich alleine gestellt war. Er atmete tief ein und sagte sich, dass er niemanden brauchte.
Er würde den heutigen Tag nutzen, um das zweite Schreiben an Svens Vater zu überbringen. Die Halbermanns waren in Dänemark. Dort sollte Sven bestattet werden. Sobald sie zurückkamen, sollten sie die zweite Nachricht im Briefkasten vorfinden. Diesmal mit der genauen Forderung und den ersten
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