Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Lächeln der toten Augen

Titel: Das Lächeln der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
Vom Netzwerk:
und es ist nicht anzunehmen, dass der Beschuldigte auch Beweismittel innerhalb seiner Firma verborgen hält«, begründete der Richter amtlich seine Entscheidung. »Und gehen Sie behutsam vor. Halbermann ist ein ehrwürdiger Name in dieser Stadt. Das verlangt natürlich Fingerspitzengefühl.«
    Trevisan lächelte. Er hatte erreicht, was er erhofft hatte.
    *
    Wie eine weiße Winterlandschaft lagen die geheimnisvollen Wolkenfelder vor ihm. Undurchdringlich und still. Nur der rötliche Glanz der untergehenden Sonne verdrängte langsam diesen Eindruck.
    Die Motoren brummten ruhig und zuverlässig. Mit annähernd 100 Knoten brauste der stählerne Vogel durch die anbrechende Nacht. Dänemark lag weit hinter ihnen.
    Die Frau auf dem Copilotensitz schlief. Sie hatten zusammen getrauert, die ganze Gemeinde. Gute Worte hatte der Ehrwürdige gefunden, Worte, die ihn nachdenklich gemacht hatten, die aber schließlich von seiner harten Schale abgeprallt waren. Bei ihr war es anders gewesen, sie hatte nur geweint und getrauert, doch er hatte an diesem Tag nichts anderes als seine bitterste Enttäuschung zu Grabe getragen. Kälte hatte sich in seinem Herzen ausgebreitet und jegliches Mitgefühl erstickt. Nun war der verlorene Sohn dort, wo er hingehörte. Zurück im Kreis, von wo er einst gekommen war.
    Er blickte auf den künstlichen Horizont. Waagerecht brausten sie dahin, die unsichtbare ruhige See lag unter ihnen. Der funkgesteuerte Kompass offenbarte ihm, dass es an der Zeit war, in den Sinkflug überzugehen. Helgoland lag weitab. Bald würde das Küstenradar in Bremen die Luftraumüberwachung übernehmen. Die Nordergründe breiteten sich vor ihm aus. Der richtige Kurs lag an. Das rote Signallicht des Funkempfängers flackerte auf. Nur noch wenige Minuten blieben ihm. Für sie war es endlich die Erlösung von diesem unsagbaren Schmerz, der tief in ihr bohrte und sie wohl nie mehr in Frieden gelassen hätte. Sie hatte ihn so sehr geliebt. Er hatte ebenfalls versucht, seinen Sohn zu lieben, doch Sven hatte das in ihn gesetzte Vertrauen schamlos missbraucht. Der Junge hatte gegen die einzige Regel verstoßen, die es zu achten galt. Der Junge hatte berührt, was unberührbar gewesen war, hatte Verrat an seinem Wort und damit auch an ihm selbst, seinem Vater, verübt. Doch er hatte es zu spät erkannt. Nun hasste er Sven dafür. Er war schuld an allem, was nun über sie hereingebrochen war. Der Junge hatte nicht einmal geahnt, welches schreckliche Schicksal er damit heraufbeschworen hatte.
    Knapp 300 Fuß oberhalb der schweren Wolkendecke raste die Cessna dahin. Er warf einen Blick auf seine Frau. Sie schlief noch immer, die Beruhigungsmittel zeigten Wirkung.
    Er drosselte das Gas und strich sich mit der Hand über die schweren Augen. Der Fahrtmesser zeigte jetzt konstant 80 Knoten.
    Wieso hatte der Junge das getan? An allem war nur dieses Mädchen schuld. Er hätte sie nie zu sich in sein Haus nehmen sollen. Das war ein Fehler gewesen. Er atmete tief ein. Keine Gedanken mehr an den Tod, keine Gedanken an ein Versagen. Schluss damit, der Kreis war geschlossen, das Kapitel zu Ende gelesen. Jetzt sollte er das Buch zur Seite legen. Endgültig. Er brauchte jetzt all seine Kraft und Konzentration.
    Er wandte den Kopf und blickte auf das graue Paket hinter ihm auf dem Passagiersitz. Es hätte seine Sammlung bereichert. Der Erhabene hatte es ihm überreicht. Das edelsteinbesetzte Trinkhorn war über eintausend Jahre alt. Es war von unermesslichem Wert. Was hätten wohl die Zollbeamten dazu gesagt, wenn sie so etwas im Gepäck gefunden hätten? Vielleicht hätten sie nicht einmal bemerkt, welcher Schatz vor ihnen lag. Er lächelte und fuhr sich erneut über seine Augen. Draußen hatte sich die Dunkelheit über das Wasser gelegt. Nur über den Wolken sorgte das helle Band der untergehenden Sonne noch immer für eine schillernde Reinheit.
    Erneut schaute er auf seine Frau. Die Anspannung der letzten Tage war aus ihrem Gesicht gewichen. Ihre Züge wirkten harmonisch und entspannt. Er beneidete sie um ihre Ruhe, die er jetzt so dringend brauchte. Er blickte auf seine Uhr. Die Zeit verstrich.
    Vor dem Abflug hatten sie eine Messe gefeiert. Der Ehrwürdige hatte den Kelch gefüllt und ihm gereicht. Er hatte die Schale mit einem kräftigen Schluck geleert, so wie seine Frau die ihre. Den Trank der Seelenstärke und der Macht. Nun würde er all seine Konzentration brauchen. Ein lautes Pfeifen signalisierte ihm, dass er das Zielgebiet erreicht

Weitere Kostenlose Bücher