Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
haben, warum. Danach hatte Moiras Verkaufsfritze in der Lobby mehr als sechzig Alben von
Alien
verkauft. Und jetzt fühlte sich Lol total high, und ab und zu, wenn er an die Szene dachte, lief ihm ein Schauer über den Rücken.
«Das war echt ein wilder Moment, aber du hast keinen Rückzieher gemacht», sagte Moira. «Ich hab noch gedacht, Mann, jetzt hat er endlich begriffen, was eine Bühnenperformance ist – der kleine Lol. Aber sag mal, nur fürs Protokoll, warum hast du gelacht?» Sie setzte ihre Tasse ab. Ihre Haare waren jetzt zusammengebunden. Sie trug einen grauen Wollpullover und weiße Jeans. «Das interessiert mich.»
«Muss an dem Song gelegen haben», gab Lol zu. «Dieser Song hat irgendwas … das ich nicht immer unter Kontrolle habe.»
«‹Heavy Medication Day›?»
«An dem Tag, an dem ich mich geweigert habe, die Pillen zu nehmen», erinnerte sich Lol, «hat Dr. Gascoigne gesagt – und ich weiß noch, wie er sich über mich gebeugt hat. Ich saß im Aufenthaltsraum auf einem hohen Stuhl, den ich vom Fernseher weggedreht hatte, und er hat sich über mich gebeugt und mir ins Ohr gesagt: ‹Glauben Sie ja nicht, dass Sie hier jemals wieder rauskommen, Mr. Robinson. Sehen Sie die Tür da? Eines Tages, wenn ich schon lange pensioniert bin und in Südfrankreich lebe, werden Sie sich da mit Ihrer Gehhilfe durchquälen.›»
«Gott. Und das soll ein Psychiater sein? Reden die so?»
«Man sagt ja immer, und das stimmt auch –»
«… dass man nicht sagen könnte, wer die Patienten sind, wenn die andern keine weißen Kittel anhätten, richtig?»
«Hm-hm. Übrigens, um das Thema zu wechseln – jedenfalls ein bisschen –, ich hab mit Tom Storey geredet.»
«Armer Tom», sagte Moira. «Wär er nicht so reich und berühmt geworden, hätte man ihn vermutlich schon vor Jahren selbst in die Psychiatrie eingewiesen.»
Moira hatte vor langer Zeit mit Tom Storey in einer Band gespielt. Die britische Folk-Rock-Szene war nicht gerade groß.
Lol erzählte ihr von dem Gespräch mit Tom. Moira rollte mit den Augen.
«Die außergewöhnliche Bell. Sie hat Tom endlos bewundert, nur weil er angeblich, wie heißt das noch …?»
«Empfänglich für Übersinnliches ist?»
«Erstaunlich, wie viele Frauen deshalb hinter ihm her waren. Für die Jungs war er der Held an der Gitarre. Für die Frauen ein
Medium
. Dabei hätte Bell damals jeden haben können.»
«Kanntest du sie?»
«Niemand kannte sie wirklich. Wir waren ein paarmal auf denselben Festivals. Auf einem warst du doch auch. Das war, bevor sie in Amerika Erfolg hatte. Sie war älter als ich und mir immer ein bisschen überlegen – sie war die Künstlerin, die sich unters gemeine Volk mischt, und ich dieses Folk-Club-Mädchen, das Karriere machen wollte. Sie mochte mich nicht, wahrscheinlich aus denselben Gründen, aus denen sie Tom mochte.»
«Weil sie gehört hatte, dass du …»
«Dass ich manchmal hellseherische Fähigkeiten habe, ja. Ach, und dann hat sie mich auch mal angemacht und einen ordentlichen Korb gekriegt. Das hat wohl auch nicht geholfen.»
«Sie steht auf beides?»
«Sie steht auf alles, Laurence, obwohl ich glaube, die Nekrophilie-Vorwürfe waren nur Gerüchte. Das hatte alles mit Fetischen zu tun. Bei anderen Sängern und Bands war das eine Phase. Bei ihr ging das auch noch weiter, als mit Gothic-Musik kein großes Geld mehr zu machen war, also …»
«Also musste es irgendeinen Grund dafür geben», sagte Lol.
«Irgendeinen Grund gibt es immer. Selbst Schizophrenie soll ja nichts sein, womit man geboren wird. Eric Bryers habe ich besser gekannt, das war vor langer Zeit mal ihr Freund. Bassist, völlig hin und weg von Bell. Hat alles für sie besorgt – Koks, Heroin, LSD . Sie soll schwanger von ihm gewesen sein, sie waren unzertrennlich, und dann ist sie plötzlich verschwunden – das ist Erics Version der Geschichte – und als Nächstes hat er gehört, dass sie in L.A. ist und ein Riesenstar, und von einem Baby war keine Rede.»
«Sie hat es zur Adoption freigegeben, sagt Tom. Er war fuchsteufelswild.»
«Ah, die Adoptionsgeschichte, das ist eine andere Version. Nach allem, was ich gehört habe, hatte sie eine Fehlgeburt, und es gab eine große Beerdigung im Grufti-Stil – das würde schon eher zu ihr passen. Als ich Eric das letzte Mal gesehen habe, hat er … in Manchester mit einem andern Typen Straßenmusik gemacht. Ich hab dort einen Gig gehabt, und da habe ich ihn auf der Straße gesehen. Ich muss
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