Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
Offenbarung.»
«Die Stadt, von der Sie geträumt hatten, als das Baby …»
«Ja. Ich wusste es, kaum dass ich aus dem Auto gestiegen war. Ich habe es zuerst gar nicht geglaubt, also bin ich wieder weggefahren. Dann hatte ich den Traum noch einmal. Es war eine Stadt, die aus der Zeit gefallen war, genau wie ich. Und das Kind … das Kind wollte, dass ich wiederkam.»
«Sie meinen … Robbie?»
«Sie sind schon nah dran», seufzte Bell. «Ich muss völlig verrückt sein – Sie könnten ja schließlich Journalistin sein.»
Merrily lächelte.
«Aber wenn man so hofiert und verehrt worden ist, von Tausenden auf der ganzen Welt, dann ist man stolz darauf, diejenigen erkennen zu können, die wichtig für einen werden. Als ich Sie mit Jonathan an Marions Eibe gesehen habe, dachte ich, ja … Nein, sagen Sie nichts, Mary, fühlen Sie sich nicht geschmeichelt, ich werde Ihnen eine Last sein, das bin ich immer.»
«Robbie?»
«Ist mein Sohn. Er
ist
mein Sohn. Ich war nicht auf der Suche nach einem Kind, denken Sie das bloß nicht. Wahrscheinlich war ich auf der Suche nach einem Mann. Und dann steht man eines Tages vor seinem Seelenzwilling, und es ist ein … ein kleiner Junge.» Bell trank einen Schluck Wein, Tränen schwammen wie Kontaktlinsen auf ihren Augen.
«Mir hat tatsächlich jemand erzählt», sagte Merrily, «dass Sie gewirkt haben wie Mutter und Sohn.»
«Wir
waren
Mutter und Sohn. Leibliche Eltern sind nichts weiter als das – meistens behindern sie einen sogar. Wir waren Teil desselben geistigen Wesens. Und wir hatten beide eine Verbindung mit dieser Stadt. Wir waren beide zu Hause angekommen. Wir haben die Stadt in demselben goldenen Licht gesehen. Ich weiß noch, wie ich in meinem ersten Traum vom Schloss zur Kirche gegangen bin, stehen blieb und zum Kirchturm aufsah, und er war wie ein Goldbarren, und der Himmel war rot und ich habe mich gefühlt, als … Sie werden sich ja denken können, wie ich mich gefühlt habe.»
«Euphorisch.»
«Oh, das war jenseits der Euphorie.»
«Wie eine Nahtod-Erfahrung? Bell, sprechen wir hier über Reinkarnation?»
Bell schüttelte den Kopf. «An den Mist glaube ich nicht.»
«Jemand … Ich meine, ich frage mich, ob Sie das Gefühl haben, eine Verbindung zu Marion de la Bruyère zu haben.»
«Nein, überhaupt nicht. Marion ist so etwas wie eine Zugangsmöglichkeit. Sie ist wichtig, weil die meisten Geister hier nur nebulöse Anwesenheiten sind, und sie ist vollständig ausgeformt. Wir wissen, wo sie gestorben ist und wie und warum. Sie ist hier – genau wie Robbie. Ich habe dann seine Großmutter aufgesucht.»
«Mrs. Mumford?»
«Als er letzten Januar wieder in der Schule war, bin ich zu der alten Frau gegangen. Mir ist sehr schnell klargeworden, dass es keine Möglichkeit gab, ihr auch nur ansatzweise verständlich zu machen, worum es ging. Ich habe gesagt, dass sein Wissen und seine Begeisterung mich beeindruckt haben, und gefragt, ob es irgendeine Möglichkeit gäbe, der Familie bei seiner Ausbildung unter die Arme zu greifen. Es war offensichtlich, dass sie mich nicht verstehen wollte.»
«Haben Sie das denn erwartet?»
«Wahrscheinlich nicht. Deshalb bin ich dann auch zu seiner Mutter gefahren. Ich bin in diese lausige Siedlung in Hereford gefahren und habe seine Mutter besucht. Und es war sehr schnell klar, dass diese Frau und ich eine gemeinsame … Währung finden würden.»
«Währung?»
«Ich meine das nicht bildlich. Wissen Sie, dieses Haus … es ist, als wäre ich selbst ein Geist. Ich wollte …»
Merrily setzte sich ruckartig auf. «Sie wollten ihn adoptieren?»
«Meine Stieftochter hätte sich um die Formalitäten kümmern können. Es ging im Wesentlichen um eine große Einmalzahlung, die das Leben seiner Mutter für immer verändert hätte.»
«Du meine Güte», sagte Merrily.
«Er wusste nichts davon. Ich wollte erst sichergehen, dass nichts dazwischenkommt, bevor ich mit ihm rede. Es war ja offensichtlich, dass Phyllis Mumford sich nicht mehr lange um ihn hätte kümmern können. Und Angela … ihre Augen haben geradezu geleuchtet, als ihr klarwurde, was das alles mit sich bringen würde.»
«Gott.»
«Und dann ist er gestorben», sagte Bell. «Er ist gestorben wie Marion. Und alles hat sich geändert. Für mich hat sich die gesamte Achse der Stadt verschoben.» Sie starrte Merrily an, und ihre Augen wirkten, als würden sie im Schein des Feuers schmelzen. «Das ist jetzt das Endspiel, Mary.» Bell saß im
Weitere Kostenlose Bücher