Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
habe das Zeug dort nicht reingeschrieben. Ja, es gibt hier einen Computer, den Le Fanu benutzen – für die Musik, sie laden sich Sounds herunter und solche Sachen, ich kenne mich damit nicht aus, muss ich schließlich auch nicht … und ich habe die Songzeile oder einen anderen Teil des Songs auch sonst nirgends öffentlich gemacht.»
«Ich sage ja gar nicht, dass Sie es waren», sagte Merrily. «Und es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass Robbie auf diesen Websites war. Aber da ich Ihnen die Zeile zitieren konnte, muss es ja irgendjemand gewesen sein, nicht wahr? Vielleicht einer aus der Band – Le Fanu? Ihre Songs können auf beinahe jeder dieser Selbstmordseiten heruntergeladen werden, wussten Sie das?»
«Das hat alles nichts mit mir zu tun. Es hätte jeder sein können – jeder, der weiß, was ich getan habe.»
«Verzeihung, ich verstehe nicht ganz», sagte Merrily. «Woher –»
«Es steht in den Büchern. In den unautorisierten Biographien.»
«Die habe ich nicht gelesen. Ich kenne nur Ihre Musik. Ich habe nur … die entsprechenden Klamotten getragen.»
«Als ich fünfzehn war», sagte Bell, «habe ich versucht, mich umzubringen. Ich habe eine Überdosis genommen und dann den Magen ausgepumpt bekommen. Ich war fünfzehn, übergewichtig, hatte schlechte Haut und war schrecklich schüchtern, und ich hatte einen Herzfehler, und meine Eltern haben mich überall hingefahren – sogar wenn ich abends mit Freunden ausgegangen bin, haben sie mich gefahren und mich danach wieder abgeholt –, und dann hatte ich auch noch eine ekelhafte Zahnspange über meinen schiefen Zähnen, also habe ich versucht, mich umzubringen. Das steht in diesen Büchern.»
«Tut mir leid. Das wusste ich alles nicht.»
Bell reckte den Hals vor. «Schätzchen, das gehört zur Legende. Als Nächstes war ich dann siebzehn, und jemand hat gesagt, dass ich singen kann, und jemand anders hat gesagt, wenn man von meinem langweiligen Namen, Isabella Donachie, den Mittelteil nimmt, dann hat man das magische Wort Belladonna – wie das Gift, damals hatte ich von allen Sängerinnen den klangvollsten Namen –, und das war für mich die Offenbarung eines Wunders, also habe ich die Zahnspange weggelegt und in sechs Monaten mit ungefähr hundert Männern geschlafen.»
«Ist das auch ein Teil der Legende?»
Bell schniefte. «Wie Sie sehen, bin ich damit aufgewachsen, dass hinter meinem Rücken getuschelt wird: Ärzte mit meinen Eltern, Eltern mit Verwandten. Ich hab durchs Treppengeländer gelugt und die Ohren gespitzt – Kinder begreifen das Wesentliche so schnell. Als ich zehn war, wusste ich, dass ich vor meiner Zeit sterben würde.»
«Aber Sie sind noch hier …»
«Und habe immer noch einen Herzfehler – das war kein Irrtum. Als ich schwanger war, haben sie das noch einmal diagnostiziert. Ich meine, ich könnte immer noch jeden Moment sterben. Ich bin nur einfach noch nicht gestorben. Aber der Tod und ich …» Bell umfasste mit der einen Hand die andere. «Wir waren uns immer nah, Mary. Sehr nah, immer. Und es ist eine bemerkenswerte Beziehung.»
«In jedem Fall hat sie bemerkenswerte Musik hervorgebracht.»
«Es geht immer ums Balancieren am Abgrund. Als ich die Tabletten geschluckt hatte, war ich überzeugt, dass mir eine Handvoll davon den Rest geben würde – ich war schließlich jemand, der sowieso schon halb hinüber ist. Aber es kam anders. Als ich einundzwanzig war, habe ich den ungarischen Selbstmordsong eingespielt und das Knistern dazumischen lassen, wie beim Original. Ich habe nahe am Abgrund gesungen.»
Merrily sagte zögernd: «Man sagt, wenn man um den Tod weiß und ihn annimmt, kann man … intensiver leben.»
Bell lehnte sich zurück. «Das stimmt nicht ganz. Es erzeugt vor allem das Gefühl, dass alles nur vorübergehend ist. Ich konnte mich nirgendwo niederlassen – bin durch die ganze Welt gereist, na, jedenfalls immer wieder über den Atlantik, hin und her. Bei einem Mann konnte ich auch nicht bleiben. Pepper war der Beste, das war ein netter Kerl – deshalb habe ich seinen Namen behalten –, aber ich habe das reinste Nervenbündel aus ihm gemacht, also hat er an mich appelliert, und ich habe ihn ziehen lassen. Es gab nur eine einzige Konstante in meinem Leben, und das war mein Sohn.»
«Weil er tot war?»
«Und dann bin ich in Ludlow gelandet, als ich Sauls Tochter besucht habe, Susannah, die mich in juristischen und finanziellen Dingen berät, und das war … noch eine
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