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Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery

Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery

Titel: Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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dem Evangelisten und zog ihre Fleecejacke aus, sodass ihr Brustkreuz zu sehen war, und bat um Einsicht in diese undurchschaubaren Vorgänge, damit der Vorhang fiel, bevor der letzte Akt dieser wahnsinnigen Tragödie stattfand.
    Sie betete, dass das flüchtige Wissen über forensische Pathologie, das sie im Laufe zweier außergewöhnlicher Jahre erworben hatte, sie nicht dazu verleitet hatte, den Tod von Jonathan Scole falsch einzuschätzen.
    Sie bat um den Mut, auf den Turm zu steigen und der Wahnsinnigen von Ludlow gegenüberzutreten.
    Sie musste es tun. Niemand außer ihr wusste, wie man es anfangen sollte. Wenn die Polizei auf den Turm ging – was sie sicher früher oder später tun würde –, würde alles einen grauenhaften Abschluss finden, ehe auch nur einer der Beamten den Stiefel auf den Umgang gesetzt hätte.
    Wie lange war Belladonna schon da? Hatte sie hinter der Tür gestanden, als Merrily mit George Lackland hereingekommen war? Hatte sie zugehört, als George von den Ereignissen berichtete, die dazu geführt hatten, dass sie sich wie im Fieber unter dem Wetterhahn vereinten?
    Merrily zog die Fleecejacke wieder an und öffnete die Tür zum Turm, hinter der es vollkommen dunkel war. Sicher wäre es möglich, Licht zu machen. Aber wenn sie es anschaltete, würde sie sich ankündigen.
    Und das wäre nicht gut.
    Es gab nur eine Möglichkeit. Sie tastete sich ins Hauptschiff vor, holte aus dem Souvenirladen ein Teelicht und zündete die Kerze mit ihrem Zippo an, um festzustellen, dass sie nicht allein war.
    «Was machst du denn hier?», sagte Lol.

47  Der Punkt des Übergangs
    Die Kerzen, die auf einem kleinen Tablett vor ihr auf dem Boden standen, beschienen ihr Gesicht wie das einer Renaissance-Madonna über einer leuchtenden Krippe.
    Sie saß mit dem Rücken zur Wand, direkt unter einer der Eckzinnen. Aus der Spitze einer Pyramide, die den Großteil dieser kleinen Plattform unter freiem Himmel einnahm, wuchs an einem Stab der Wetterhahn empor. Um die Pyramide herum verlief ein schmaler Umgang. Es war beängstigend, wenn man sich so weit oben nicht wohl fühlte, was bei Lol der Fall war, aber das Kerzenlicht schuf in der jungen Nacht auch eine seltsam intime Atmosphäre.
    «Wer sind Sie denn, zum Teufel?», sagte Belladonna.
    Sie trug einen langen blassblauen Hirtenmantel, der offen stand und darunter etwas Helles sehen ließ.
    Die zweihundert Stufen hatten auf die Rückseiten von Lols Waden eine heftige Wirkung gehabt. Er stellte das Windlicht auf den Boden und setzte sich dahinter, sodass die beiden sich über die Breite des Turms hinweg ansahen.
    «Wenn Sie allein sein wollten», sagte er, «dann hätten Sie nicht mit den Kerzen von einer Zinne zur andern laufen sollen, wo doch jeder weiß, dass die Kirche abgeschlossen ist.»
    «Ich bin nicht allein.»
    «Sind … Sie schon lange hier oben?»
    «Ich habe die Glockenschläge schon länger nicht mehr gezählt. Ich bin mit den Touristen reingekommen und habe beschlossen, nicht mehr zu gehen. Und ich habe Sie etwas gefragt.»
    «Lol. Lol Robinson», sagte Lol.
    «Ah», sagte sie, «verstehe.»
    «Wir sind uns fast einmal begegnet, auf einem Festival. Nicht Glastonbury oder so, aber –»
    «Ich habe keine Lust, Erinnerungen aufzuwärmen», sagte Bell. «Gehen Sie.»
    Die sechs dicken Kerzen stammten wahrscheinlich von dem Votivtisch in der Kirche. In ihrem Schein glänzte ihr Gesicht, es wirkte ruhig und strahlend. Sie hatte sich wirklich nicht besonders verändert. Die Falten verliehen ihr nur mehr Ausstrahlung und Lebendigkeit. Lol empfand eine brennende Neugier und hatte das Bedürfnis, ihr nachzugeben, als hätte die Episode mit Saltash ihn entfesselt.
Sie müssen etwas tun
.
    Was auch immer sie getan hatte, er wollte einfach nicht, dass sie verrückt war.
    «Sie sollten nicht allein sein», sagte er. «Nicht jetzt.»
    «Ich bin nicht allein, das sagte ich doch schon.»
    «Aber sie können nicht mit Ihnen reden.»
    «Ich kann aber mit ihnen reden.»
    «Die hören nicht zu», sagte Lol. «Denen ist das alles egal.»
    «Ist sie bei Ihnen?», sagte Bell. «Ihre Freundin?»
    «Nein. Sie ist im Schloss.»
    «Hat sie es schon getan?»
    Meinte Sie Sam? Lol gab keine Antwort.
    «Es ist eine Geste», sagte Bell. «Eine bedeutungslose Geste. Sie verschwendet ihre Zeit. Das hier ist zu mächtig.»
    Ihm wurde klar, dass sie den Exorzismus meinen musste. Vielleicht wusste sie nichts von Sam.
    Er sah, dass sich auf jeder Eckzinne ein winziges Kreuz befand.

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