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Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery

Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery

Titel: Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Er blieb unter der Markise des alten, riesigen Restaurants
De Grey
stehen. «Es gibt da etwas, das ich Ihnen noch nicht erzählt habe, Merrily.»
    «Was denn?»
    «Als das Buch von Underwood veröffentlicht wurde, da war ich … Gut, ich war zwar schon Vikar, aber noch ein junger Kerl, hab Rugby gespielt, hatte ein paar Kumpel, und wir sind eines Freitagabends was trinken gegangen. Nicht gerade exzessiv, was mich betrifft, aber wir hatten Spaß. Und ich hatte zufällig eine Ausgabe des Buches dabei, und wir … Ich meine, Sie wissen ja, wie junge Männer so sind …»
    «Weiß ich das?»
    «Wir waren zu sechst im Pub und haben darüber gesprochen, dass im Turm immer dieses schwere Atmen zu hören ist, und das Ganze hatte leider einen ziemlich anzüglichen Beigeschmack. Ich habe gesagt, das sei alles Quatsch und nur dazu da, noch mehr Besucher ins Schloss zu locken. Und dann meinte jemand, wie ich das denn sagen könnte, bei dem ganzen Unsinn, den ich zu schlucken und jeden Sonntag wieder von mir zu geben hätte? Na ja, Endergebnis war jedenfalls, dass wir wetteten … um zehn Pfund.»
    «Damals noch eine Menge Geld.»
    «Vikare waren damals noch schlechter bezahlt als heute, und ich war zu der Zeit verlobt, also waren zehn Pfund schon … was wert. Einer von ihnen wusste, wie man bei Nacht ins Schloss kam, und dann …»
    «Das haben Sie nicht gemacht …»
    «Wenn es um eine ganze Nacht gegangen wäre, hätte ich es bestimmt nicht gemacht, aber es war ein ziemlich warmer Abend – wärmer als heute –, und wir einigten uns darauf, dass ich zwei Stunden allein im Henkersturm bleiben würde, und wenn ich noch da wäre, wenn sie gegen halb eins kämen, um mich abzuholen, würde das Geld mir gehören.»
    «Sie erstaunen mich, Bernard.»
    «Tja, deshalb wollte ich das auch nicht vor Mumford erzählen. Auf jeden Fall sind wir erst mal alle zusammen reingegangen. Davor war ich noch nie im Henkersturm. Er muss mal zwei oder drei Stockwerke gehabt haben, hat aber inzwischen kein Dach mehr. Die Räume sind klein – mit uns sechsen war die Kammer da oben voll, aber nachdem die anderen weg waren … höchst ungemütlich war das.»
    «Also,
ich
hätte das nicht gemacht.»
    «War sicher eine typische Jungssache. Bei Nacht zeigt sich das Schloss wirklich von einer anderen Seite, das war mir vorher nicht klar gewesen – es ist schwarz. Riecht … man denkt an Ratten. Und es ist höllisch kalt. Die erste Stunde habe ich am Fenster verbracht und nach den paar Lichtern Ausschau gehalten, die zu sehen waren – zumindest dachte ich, es wäre eine Stunde gewesen, wahrscheinlich waren es eher zehn Minuten. Über dem Fluss zog Nebel auf, und ich konnte den Boden nicht mehr sehen, den Himmel auch nicht, und ich wollte … Es ist wohl normal, wenn man in einem hohen Gebäude ist und unter Höhenangst leidet, dass man … also …»
    «Sie wollten springen?»
    Sie waren allein auf der Straße, eine Zeitlang kam kein Auto vorbei, und Bernies Stimme hallte in der Unterführung, durch die sie gingen, als wären sie in einer kleinen Kirche.
    «Ich habe mich dann in die Dunkelheit zurückgezogen. Und am Ende habe ich zusammengerollt in einer Ecke der Kammer gelegen, im Dunkeln, es war wie in einem Grab, und ich … irgendwann wurde mir ein … über allem lastendes Unglücksgefühl bewusst. Es war eine fast körperliche Wahrnehmung. Haben Sie jemals versucht zu beten und es nicht gekonnt?»
    «Ich bin nicht sicher.» Merrily zündete sich noch eine Zigarette an. «Es ist allerdings vorgekommen, dass ich mich dafür geschämt habe, es einfach nicht fertigzubringen, weil es mir … sinnlos erschien. Ein Glaubensaussetzer.»
    «Nein, das kennen wir alle. Bei mir war es eine körperliche Unfähigkeit zu beten, in einem Moment, in dem ich es unbedingt wollte. Wie ein Asthmatiker, der nicht atmen kann.»
    «Das muss beängstigend gewesen sein.»
    «Ich war in Panik. Es war das Undenkbare. Das Gefühl, dass es dort einfach nicht funktionierte, dass Gott von diesem Ort ausgeschlossen war. Ich erinnere mich – jetzt klingt es lächerlich, obwohl, nein, an dieser Nacht war nichts im Entferntesten lächerlich –, ich erinnere mich, an die zehn Pfund gedacht zu haben, die auf dem Spiel standen, und wie verabscheuungswürdig das war. Ich glaubte, das, was mir da passierte, wäre ein Ergebnis davon. Dass ich diese Wette eingegangen war, erschien mir böse. Als Sie mich vorhin gefragt haben, ob ich Lotto spiele – nein, das tue ich

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