Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
schüttelte die Hände der Polizisten ab und wischte sich über den Ärmel, wo sie ihn angefasst hatten.
«Hast du gesehen …»
«Ich hatte ja nicht die Gelegenheit.» Mumfords Gesicht wirkte im Licht der Taschenlampe wie ausgewaschener grauer Stein. «Diese Idioten –» Er sah auf und bemerkte Merrily. «Mrs. Watkins.»
«Andy, was ist –»
«Dann gehen Sie mal nachsehen», sagte der dritte Polizist.
Merrily kletterte hinter Mumford über die Mauer, ohne vorher darüber nachzudenken. Jetzt, da die anderen wussten, wer er war, hinderte ihn niemand daran. Der Hang auf der anderen Seite fiel stärker ab, als sie erwartet hatte, und sie stolperte. Mumford griff nach ihrem Arm.
«Paar Nachbarn haben vor dem Haus auf mich gewartet, zusammen mit Dad. Einer war mit seinem Hund am Fluss langgegangen, als er gesehen hat, wie ein paar Jungs aus dem Pub kamen und ins Wasser wateten.»
Der Polizist namens Steve holte sie ein.
«Ich kann das nicht glauben, Andy.»
Mumford sagte nichts. Sie erreichten einen weiteren Polizisten und zwei Sanitäter in reflektierenden Jacken. Sie sahen eine Bahre, und zwei helle Scheinwerfer ersparten ihnen nichts. Merrily sah einmal hin und wandte sich dann ab.
«Irrtum ausgeschlossen, Andy?»
«Ja.»
Phyllis Mumford hatte Schaum vor dem Mund, als hätte sie Seife verschluckt. Zuerst hatte es deshalb gewirkt, als lebte sie noch. Der Verband an ihrem Bein hing herunter wie ein Fähnchen.
Mumford ächzte, die Hände in den Taschen, die Schultern gebeugt.
«Konnte keiner mehr was tun», sagte Steve.
«Dann ist sie nicht von der Brücke gesprungen?»
«Dann hätte sie mehr Verletzungen, oder, Andy? Sieht so aus, als wär sie über die Mauer geklettert, wie wir eben, und dann vom Ufer aus ins Wasser gewatet. Sie muss auf den Steinen ausgerutscht sein. Da würde jeder hinfallen, sogar tagsüber. Im Dunkeln hat man überhaupt keine Chance.»
«Nicht in ihrem Alter.»
«Nein. Was soll ich sagen? Wenn die Jungs fünf Minuten früher gekommen wären … Es tut mir wirklich leid, Mann.»
«Hm.»
Hintereinander trotteten Merrily und Mumford zurück zu der Mauer. Ganz offensichtlich ging Mumford auf die einzige Weise damit um, die ihm zur Verfügung stand: als wäre er nicht im Ruhestand und diese Frau die Mutter eines anderen. Die Mutter eines anderen, der Neffe eines anderen, das Leben eines anderen.
«Das kalte Wasser», sagte er. «Dabei wird immer erzählt, sie würden am Herzinfarkt sterben.»
«Ich bin sicher, es …», sagte sie. «Andy –»
«Eine Gnade. Unter den Umständen.»
«Warum? Warum ist sie im Dunkeln allein hierhergekommen?»
«Sagen Sie es mir.»
«Das ist so …» Sie schüttelte den Kopf. «Ich hätte …»
Merrily wusste nicht, was sie hätte tun sollen. Das war alles nicht zu begreifen.
«Meine Schuld, oder?», sagte Mumford. «Ich hätte ahnen müssen, wohin das führt. Hätte sie richtig einschätzen müssen. Von meinem Alten konnte ich das nicht erwarten, der hat sie seit Jahren nicht mehr wahrgenommen.» Er stieß die rechte Faust in seine linke Hand. «Gott!»
«Es ist nicht …» Sie erwischte seinen Arm. «Es ist nicht Ihre Schuld.»
«Mrs. Watkins, ich hab eine lange Nacht …» Er wandte sich ab. «Ich hab eine lange Nacht vor mir.»
Es klang, als meinte er in Wirklichkeit den Rest seines Lebens.
Jemand half Merrily über die Mauer: der Bischof.
«Ich habe jemanden gesehen, den ich kannte. Merrily, das hier ist jenseits aller –»
«Ja», sagte Mumford, ruhiger jetzt, als sei durch den einen Schlag mit der Faust der ganze Druck entwichen.
«Andrew. Sagen Sie … wo ist Ihr Vater?»
«Er saß in einem der Wagen, als ich ihn zuletzt gesehen hab. Mit Zoe, der Polizistin.»
«Ich suche ihn mal und rede mit ihm.»
«Ich würde allerdings Gott aus dem Spiel lassen an Ihrer Stelle, Bischof», sagte Mumford und wandte sich dann an Merrily. «Solche Unfälle passieren, oder? Alte Frauen sollten nachts nicht am Fluss spielen.»
Merrily dachte:
Unfall?
Auf dem Gehweg kamen jetzt mehrere Leute in altmodischer Abendgarderobe vorbei. Die Frauen trugen Abendkleider, zwei Männer Frack und Zylinder. Sie dachte an die teuren Restaurants, das neue, reiche Ludlow, und an Phyllis Mumford, die allein gestorben war.
«Ich muss meine Frau anrufen.» Mumford hatte sein Handy aus der Tasche gezogen. «Und den Alten abholen, ihn zu uns nach Hause bringen.»
«Ich könnte –»
«Ich kümmere mich um ihn. Fahren Sie ruhig heim.»
Sie wollte
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