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Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery

Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery

Titel: Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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schreien: Meine Güte, Sie sind kein Polizist mehr, Sie sind einer von uns!
    «Komm mal zum Wagen, Andy», sagte Steve, der Polizist. «Wir sollten kurz ein paar Dinge klären.»
    Merrily blieb allein zurück. Die Gruppe in Abendgarderobe war stehen geblieben, alle sahen jetzt hinunter zu den Polizisten und Sanitätern, die gerade die Leiche verhüllten. Sie waren nicht, was Merrily gedacht hatte, diese dekadenten Nachtschwärmer. Eine Frau trug im Grübchen ihres Kinns einen Rubin, der glitzerte wie eine Blase aus Blut, und einer der Männer mit Zylinder hatte geschminkte Augen, und von seinem Hut hingen hinten Bänder herab wie bei einem altmodischen Beerdigungsunternehmer.
    «Bitte …», rief eine Polizistin mit ausgebreiteten Armen. «Gehen Sie weiter.»
    «Ist sie tot?», fragte ein Mädchen, als erkundigte sie sich, wann der letzte Bus führe.
    «Das können Sie morgen in der Zeitung lesen.»
    «Ich bin morgen nicht mehr hier.»
    «Gut», sagte die Polizistin.
    «War es Selbstmord?»
    Eine ältere, ruhigere Stimme. Merrily sah eine fünfte Gestalt in der Gruppe, eine Frau, die in einen grauen Umhang gehüllt war, der fast den Boden berührte.
    Die Polizistin sagte: «Haben Sie zu diesem Vorfall irgendwas zu sagen, Madam?»
    Die Frau lächelte schwach und schüttelte den Kopf. Das Blaulicht glitt über ihr Gesicht wie ein Stroboskopeffekt, streifte eine Adlernase und ließ ihre Haare, die in Strähnen herabhingen, aussehen wie angelaufenes Lametta. Und Merrily erkannte sie. Zum Teil aufgrund von Mumfords Beschreibung, aber vor allem …
    Blasse ausgestreckte Arme, sich festkrallende Finger, hochgeschobene Ärmel eines schwarzen Kleides. Ein kupferner Armreif, der aussah wie eine Schlange …
    Merrily fröstelte, sie verschränkte die Hände ineinander und dachte an ein Spiegelbild ihrer selbst, das sie vor langer Zeit gesehen hatte: weißer Lippenstift, ein schwarzer Samthut und Wimperntusche, die zusammenklumpte wie Schokolade. Sie hörte ihre eigene Mutter, entsetzt: So gehst du nicht aus dem Haus, du siehst ja aus wie …
    «Ja, das dachte ich mir», sagte die Polizistin. «Wenn Sie jetzt bitte nicht länger den Gehweg blockieren würden …»
    Sie ist ziemlich unverwechselbar
, hatte Mr. Osman gesagt
, mit ihren Haaren und der Art, wie sie sich anzieht.
    Und Andy Mumford hatte im Auto gesagt:
Wenn sich herausstellt, dass sie Marion heißt, was hat das dann zu bedeuten?
    Soweit Merrily sich erinnern konnte, war ihr Name nie Marion gewesen.
    Sie sah Mumford und seinen Freund Steve in ein Polizeiauto steigen und hörte die Kirchenglocken läuten. Zehn Uhr.
    Sie stand mitten auf der Straße, der Priesterkragen scheuerte unter dem bis oben zugezogenen Reißverschluss ihrer Fleecejacke, als wollte er sie an etwas erinnern. Sie war wütend auf sich selbst, weil sie so etwas nicht hatte kommen sehen, und auch ein bisschen wütend auf Saltash, dessen dahingerotzte Diagnose wahrscheinlich richtig gewesen war, obwohl das jetzt nicht mehr bewiesen werden konnte, genauso wenig wie die Existenz von Geistern.

11  Nachtschatten
    Am nächsten Morgen fühlte sich Merrily kein bisschen besser. Sonntag. Sie wachte auf, als es hell wurde, und sah zu, wie die rote Morgendämmerung über die Zimmerdecke kroch. Sie fragte sich, was es auf dieser selbstmörderischen Welt für eine Rolle spielte, ob sie aufstand oder nicht.
    Solange niemand konkret danach fragte, war sie gestern Abend nicht in Ludlow gewesen, und Bernie Dunmore genauso wenig. Darauf hatten sie sich geeinigt, als Merrily ihn gegen ein Uhr nachts am Bischofspalast in Hereford abgesetzt hatte.
    Bernie hatte ihr erzählt, wie es mit Reg Mumford gewesen war. Sie waren zusammen ins
Angel
in der Broad Street gegangen. Dort hatte Reg sich an seine Frau erinnert, daran, wie sie früher war. Ihren Tod hatte Reg nicht erwähnt – als sei er dazu noch nicht bereit, sagte Bernie. Was Robbie betraf, so verstand Reg nicht, wie der Junge dazu gekommen sein sollte, sich umzubringen, und er sah auch keinen Sinn darin, darüber nachzudenken. Kinder machten eben Dummheiten, und manchmal hatten sie Pech, und der Junge … es hatte ja keinen Sinn, sich was vorzumachen, der war nicht ganz normal. Reg hatte nie gewusst, wie er mit ihm reden sollte, das war schon so gewesen, als er noch klein war. Phyllis dagegen …
    Reg hatte versucht, sich abzulenken, indem er tagsüber fernsah. Jedes Mal, wenn er aufsah, starrte Phyllis in den Spiegel, in dem sie ihren ganz persönlichen

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