Das Lächeln der Toten • Ein Merrily-Watkins-Mystery
gehört. Ich meine, nicht den Song, sondern was er bewirken soll. In der Musikbranche kursieren alle möglichen Gruselgeschichten.»
«Auf der Playlist von der Departure Lounge hatten sie nur die Version von Belladonna. Und einen Song von Leonard Cohen, den er offenbar nicht mehr spielt.»
«Und Nick Drakes ‹Fruit Tree›? Der ist normalerweise unter den Top Ten, wenn es um Selbstmordsongs geht.»
«Hab ich nicht gesehen. Lol, dieser Ungar, der das komponiert hat, und Belladonnas Exfreund, Eric …»
«Bryers.»
«Kanntest du den?»
«Ich kenne Leute, die ihn kannten.»
«Die haben beide Selbstmord begangen, indem sie sich von einem Gebäude gestürzt haben. Wusstest du das?»
«Das ist eine beliebte Methode, Jane.»
«Besonders in Ludlow, wie es scheint», sagte Jane.
«Jane … wie gesagt, vielleicht weiß Belladonna noch nicht mal, dass die ihren Song dafür benutzen.»
«Nee, ich habe das Gefühl, sie ist da auch. Ich spüre sie da irgendwie, wie eine böse Anwesenheit. Und Jemmie Pegler war definitiv auf diesen Websites.»
«Jane, lass dich nicht hinreißen, okay?»
«Hey, das kommt doch bei mir überhaupt nie vor.»
Lol sagte nichts. Sie konnte sich seinen Gesichtsausdruck vorstellen.
«Hast du noch mehr anonyme Briefe bekommen, Lol? Das würdest du mir doch sagen?»
«Du wärst die Erste.»
«Ja, klar.» Jane sah auf den Bildschirm. «Hey, da ist eine Nachricht. Ich muss Schluss machen.»
«Jane, du hast mir nicht zugehört –»
Sie legte auf. Vielleicht war es was Wichtiges. Aber was würde sie machen, wenn Belladonna tatsächlich selbst eine Nachricht für Sadgirl hinterließ? Konnte ja sein.
Aber es war Scharonn der Fährmann. Und er hatte kein Mitgefühl.
Sadgirl, du bist hier falsch, Schätzchen. Von deinen Problemen will hier keiner was wissen. Komm wieder, wenn du bereit bist, ES WIRKLICH ZU TUN .
Dieses herzlose Monster! Da verliert man sein Baby, wird von seinem Freund sitzengelassen, und dieses Arschloch …
Jane musste lachen. Oh Gott, sie war wirklich übermüdet. Sie trank das Wasser aus und überlegte, wie Sadgirl jetzt am geschicktesten reagierte. Sie wusste, wie sie reagieren
wollte
, aber das würde ja nichts bringen.
Sie knipste die Schreibtischlampe aus, ließ sich auf dem Stuhl nach unten rutschen und schloss die Augen, um gründlich nachzudenken.
Merrily stand zwischen den Überbleibseln von Robbie Walshs Leben, zündete sich eine Zigarette an, rauchte sie zur Hälfte, warf sie dann auf den Betonboden und trat sie aus. Als sie sich mit der Hand im Gesicht berührte, empfand sie einen stechenden Schmerz. Danach waren ihre Fingern schmierig von Blut und Wasser.
«Damit sollten Sie vielleicht zum Arzt.» Mumford hielt den Kopf schief, bückte sich und hob einen Karton auf. Überall lagen Bücher herum, die türkisfarbene Baseballkappe war platt getreten worden. «Hätt Sie nicht kommen lassen dürfen, Mrs. Watkins. Hätt mir klar sein müssen.»
«Und was ist mit Ihnen?» Merrily sah den Bluterguss in seinem Nacken, dort, wo die Kette sich in ihn hineingebohrt hatte.
«Mir geht’s gut.»
«Ja, klar – deshalb klingt Ihre Stimme auch wie eine kaputte Kinderflöte.»
Sie versuchte zu lachen, war aber noch zu aufgewühlt. Immer wieder spielte sich vor ihrem inneren Auge die Szene ab, als sie sich gegen den dicken Jungen geworfen und versucht hatte, ihn an seinem gegelten Haar festzuhalten, während zugleich der andere Junge in der gelben Jacke den Computer am Kabel Richtung Tischkante zog. Sie erinnerte sich, gesehen zu haben, wie Mumford sich trotz der Kette umwandte und dem dicken Jungen ins Gesicht griff und ihn wegstieß. Merrily war so froh gewesen, dass er dazu die Kraft hatte … bis, im selben Moment, in dem der Computer auf den Boden fiel, der Ellbogen des Jungen in ihr Gesicht geknallt war.
Sie hatte benommen auf dem Boden gelegen, als einer der Jungs rief: «Ein Auto!» Jason Mebus hatte Mumford hasserfüllt angeblitzt, von seinen Mundwinkeln liefen Blutfäden herunter und rahmten das silberne Piercing an seinem Kinn ein.
Im nächsten Erinnerungssplitter waren nur noch sie selbst und Mumford mitten in dem Chaos in der Garage.
Mumford stand einen Moment über den Computer gebeugt, ehe er ihn zurück auf die Werkbank wuchtete, auf der er dann schief und wie ein gebrochener Schädel stand.
«Andy, das müssen wir der Polizei melden.»
Er lachte.
«Andy, wirklich … Blut an der Wand? Sie halb erdrosselt? Und wer weiß, wie ich
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