Das Lächeln des Cicero
»Diese
gierigen Idioten, Capito und Magnus, haben gedacht, sie
könnten ihren Vetter Sextus verurteilen lassen, ohne ihre
Beteiligung an dem Verbrechen eingestehen zu müssen. Wie
konnte sich Chrysogonus nur mit solchem Abschaum
einlassen?«
»Das verstehe
ich nicht«, flüsterte Tiro. Man hätte seinen
Gesichtsausdruck komisch finden können, wenn darin nicht so
viel Schmerz und Verwirrung gelegen hätte. Er tat mir leid.
Ich tat mir selber leid. Bis zu diesem Augenblick hatte ich mich
krampfhaft bemüht, mich an dieselbe Illusion zu klammern, der
Tiro so mühelos nachhing - dem Glauben, daß alle unsere
Arbeit für Sextus Roscius einen höheren Zweck als
politische Intrigen oder persönlichen Ehrgeiz hatte, daß
wir einer Sache gedient hatten, die Gerechtigkeit hieß. Dem
Glauben, daß Sextus Roscius am Ende doch unschuldig
war.
Sulla zog die Brauen
hoch und räusperte sich verächtlich. »Dein
vorlauter Sklave begreift es nicht, Cicero. Bist du etwa kein
aufgeklärter Römer? Kümmerst du dich nicht um die
Ausbildung des Jungen? Erklär es ihm.«
Cicero betrachtete
seine Hände. »Ich dachte, du hättest sie dir selbst
zusammengereimt. Das hab ich ehrlich geglaubt. Gordianus weiß
Bescheid, denke ich. Oder nicht, Gordianus? Laß ihn alles
erklären, dafür wird er schließlich
bezahlt.«
Tiro sah mich so
flehend an, daß ich gegen meinen Willen den Mund auftat.
»Es war alles wegen der Hure«, sagte ich.
»Weißt du noch, Tiro, das Mädchen Elena, das im
Haus der Schwäne gearbeitet
hat...«
Sulla nickte weise,
hob jedoch einen Finger, um mich zu unterbrechen. »Du eilst
der Geschichte voraus. Der jüngere Bruder...«
»Gaius Roscius,
ja. Ermordet von seinem Bruder im gemeinsamen Elternhaus.
Vielleicht haben sich die Einheimischen täuschen lassen, aber
die Symptome sind wohl kaum durch den Verzehr von eingelegten
Pilzen hervorgerufen worden.«
»Koloquinte«, schlug
Cicero vor.
»Wilder
Kürbis? Möglicherweise«, sagte ich, »vor
allem in Verbindung mit anderen genießbaren Giften. Ich habe
einmal von einem Fall in Antiochia gehört mit ganz
ähnlichen Symptomen - das Erbrechen purer Galle gefolgt von
einem Blutschwall und unmittelbar darauf dem Tod. Vielleicht hat
sich Sextus schon damals mit seinem Vetter Magnus abgesprochen. Ein
Mann mit Magnus’ Beziehungen kann in Rom praktisch jedes Gift
auftreiben, für den entsprechenden Preis.
Was das Motiv angeht,
so hatte Sextus Roscius pater mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit vor, seinen älteren Sohn zugunsten von
Gaius zu enterben, zumindest war Sextus filius fest davon
überzeugt. Ein verbreitetes Verbrechen aus einem
gewöhnlichen Motiv. Aber das war nicht das Ende der
Geschichte.
Vielleicht hatte der
alte Herr Sextus in Verdacht, Gaius getötet zu haben.
Vielleicht hat er ihn auch einfach so sehr verabscheut, daß
er nach irgendeinem Vorwand suchte, ihn dann noch zu enterben. Zur
selben Zeit verliebte er sich in die hübsche junge Hure Elena.
Als sie schwanger wurde, ob von Roscius oder nicht, hegte der alte
Mann den Plan, sie zu kaufen, freizulassen und das freigeborene
Kind zu adoptieren. Offenbar war er nicht in der Lage, sie sofort
zu erwerben; wahrscheinlich hat er den Handel vermasselt - der
Bordellbesitzer witterte seinen Eifer und trieb den Preis in
absurde Höhen, weil er glaubte, einen verkalkten,
liebeskranken alten Witwer ausnehmen zu können. Das sind
natürlich Mutmaßungen -«
»Mehr als
das«, sagte Sulla. »Es gibt, oder besser, es gab
konkrete Beweise: einen Brief an seinen Sohn, den Roscius der
Ältere seinem Sklaven Felix diktierte, der dadurch den Inhalt
kennt. Laut Felix hatte der Alte im Suff einen Wutanfall. In seinem
Brief drohte er ausdrücklich mit dem, was du gerade vermutet
hast - der Enterbung von Sextus Roscius zugunsten eines noch
ungeborenen Sohnes. Das Dokument wurde anschließend
vernichtet, aber der Sklave erinnert sich noch
daran.«
Sulla hielt inne,
damit ich fortfahren sollte. Tiro sah erst Cicero, der seinen Blick
nicht erwiderte, und dann voller Verzweiflung mich an. »Also
beschloß Sextus Roscius, seinen Vater umzubringen«,
sagte ich. »Natürlich konnte er das nicht selber tun.
Die drei trafen ein Abkommen. Sextus sollte das Vermögen
seines Vaters erben und seine Vettern später auszahlen. Es
muß so etwas wie eine Versicherung gegeben
haben...«
»ln der
Tat«, sagte Sulla, »es gab eine Art schriftlichen
Vertrag. Eine Absichtserklärung gewissermaßen, den alten
Roscius zu
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