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Das Lächeln des Cicero

Das Lächeln des Cicero

Titel: Das Lächeln des Cicero Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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mehr sagen kann, wo das Blut endet
und das rohe Fleisch beginnt -, muß der Verurteilte dazu
gebracht werden, in diesen Sack zu kriechen. Der Sack soll in
einiger Entfernung von den Podesten bereitgehalten werden, damit
das versammelte Volk ihn kriechen sehen, mit Kot und Abfall
bewerfen und verfluchen kann.
    Wenn er den Sack
erreicht hat, soll er gezwungen werden, hineinzukriechen. Wenn er
Widerstand leistet, wird er zurück zu den Podesten geschleift,
und die Bestrafung beginnt von vorne.
    Innerhalb des Sacks
ist der Vatermörder gleichsam in den Mutterleib
zurückgekehrt, ungeboren gemacht. Die Geburt, so sagen uns die
Philosophen, ist eine Qual. Ungeboren gemacht zu werden ist eine
noch größere Qual. In den Sack, der an dem zerfetzten,
blutenden Fleisch des Vatermörders scheuert, werden jetzt vier
lebendige Tiere getrieben. Zunächst ein Hund, das sklavischste
und verachtenswerteste aller Tiere, und ein Hahn mit besonders
geschärftem Schnabel und Krallen. Diese Symbole sind uralt:
Hund und Hahn, Wächter und Wecker, Beschützer von Heim
und Herd; weil sie beim Schutz des Vaters vor dem Sohn versagt
haben, müssen sie ihren Platz zusammen mit dem Mörder
einnehmen. Hinzu kommt noch eine Schlange, das männliche
Prinzip, das, selbst wenn es Leben gibt, noch töten kann, und
ein Affe, die grausamste Parodie der Götter auf die
Menschheit.«
    »Stell dir das
vor!« seufzte Caecilia hinter ihrem Fächer. »Stell
dir diesen Lärm vor!«
    »Alle fünf
sollen gemeinsam in den Sack eingenäht und zum Ufer des
Flusses getragen werden. Der Sack darf nicht gerollt oder mit
Stöcken geschlagen werden - die Tiere darin müssen
lebendig bleiben, damit sie den Vatermörder so lange wie
möglich quälen können. Während die Priester die
letzten Flüche aussprechen, wird der Sack in den Tiber
geworfen. Am ganzen Flußlauf bis Ostia sollen
Beobachtungsposten eingerichtet werden; wenn der Sack auf Grund
läuft, muß er sofort wieder in die Strömung
zurückgestoßen werden, bis er das offene Meer erreicht
hat und aus dem Blickfeld verschwunden ist.
    Der Vatermörder
zerstört den Quell seines eigenen Lebens. So sollen ihm, wenn
er sein Leben aushaucht, eben jene Elemente vorenthalten werden,
die der Welt Leben schenken -ohne Erde, Luft und Wasser, ja sogar
ohne Sonnenlicht soll er seine letzten qualvollen Stunden oder Tage
zubringen, bis der Sack schließlich an den Nähten
platzt, sein Inhalt vom Meer verschlungen wird und seine
Überreste von Jupiter zu Neptun und weiter an Pluto gereicht
werden, jenseits der Zuwendung, Erinnerung und selbst des Ekels der
Menschheit.«
    Der Raum war in
Schweigen verfallen. Schließlich atmete Cicero lange und tief
ein. Ein schmales Lächeln umspielte seine Lippen, und ich
fand, daß er selbstzufrieden aussah, wie ein Schauspieler
oder Redner nach einer erfolgreichen Rezitation.
    Caecilia senkte ihren
Fächer. Unter ihrer Schminke war sie aschfahl. »Wenn du
ihn kennenlernst, Gordianus, wirst du ihn jetzt verstehen. Der arme
junge Sextus, du wirst begreifen, warum er so verzweifelt ist. Wie
ein Kaninchen, das gelähmt ist vor Angst. Der arme Junge. Das
werden sie ihm antun, wenn man sie nicht aufhält. Du
mußt ihm helfen, junger Mann. Du mußt Rufus und Cicero
helfen, sie daran zu hindern.«
    »Natürlich.
Ich werde tun, was ich kann. Wenn die Wahrheit Sextus Roscius
retten kann - ich vermute, er hält sich irgendwo hier im Haus
auf?«
    »Oh, ja, er darf
das Haus nicht verlassen; du hast die Wachen gesehen. Er wäre
jetzt auch hier bei uns, wenn...«
    »Ja?«
    Rufus räusperte
sich. »Wenn du ihn triffst, wirst du ja
sehen.«
    »Was werde ich
sehen?«
    »Der Mann ist
ein Wrack«, sagte Cicero. »Völlig in Panik, wirr
und restlos verzweifelt. Beinahe wahnsinnig vor
Angst.«
    »Hat er solche
Angst, verurteilt zu werden? Die Anklage gegen ihn muß auf
sehr starken Füßen stehen.«
    »Natürlich
hat er Angst.« Caecilia schlug mit dem Fächer nach einer
Fliege, die sich auf ihrem Arm niedergelassen hatte.
»Hättest du etwa keine Angst, wenn dir etwas derart
Entsetzliches droht. Und nur weil er unschuldig ist, heißt
das ja noch lange nicht... nun ja, was ich sagen will, wir alle
kennen Fälle, besonders seit... ich meine, seit einem Jahr
oder so... wenn man unschuldig ist, heißt das in diesen Tagen
kaum, daß man sich in Sicherheit wiegen kann.« Sie warf
Rufus einen kurzen Blick zu, den er angestrengt
ignorierte.
    »Der Mann
fürchtet sich vor seinem eigenen Schatten«, sagte
Cicero. »Er

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