Das Lächeln des Leguans
holen, und
Papa war dieses Mal nicht daran beteiligt.
Seither ist sie nicht wieder warm geworden. Doktor Lacroix mahnt immer wieder zur Geduld, aber was weiß er schon vom bösen
Zauber des großen makellosen Traums? Und was, wenn Mama dieses Mal endgültig geholt wurde? Luc will auf keinen Fall, dass
das Wunder fehlschlägt. Er spricht davon, Mama in die Grotte zu bringen, um sie der regenerierenden Wirkung des Leguans auszusetzen.
Besser noch, er schlägt vor, den Leguan heimlich ins Haus zu bringen und unter ihrem Bett oder im Schrank zu verstecken, damit
er ihr möglichst nahe ist. Ein weiterer seiner schrägen Einfälle. Nach dem Abendessen wollen wir uns zur Bucht aufmachen,
um den Leguan um Rat zu fragen und zu beten, auch wenn wir nicht mit dem Herzen dabeisein werden. Ich ahne schon, wovon ich heute Nacht träumen werde: von einem Kühlraum, in dem Mama wie Schneewittchen in einer
Eismasse liegt und Luc und ich wie zwei verdrießliche Zwerge neben ihr knien.
*
Mitten in der Nacht hörte ich ein Schluchzen aus Mamas Zimmer. Als ich das dunkle Aquarium betrat, traf ich sie bei vollem
Bewusstsein an, wie sie ganz allein in der Dunkelheit schwebte. Sie weinte über ihr Unglück, und da es auch das meine war,
vergossen wir gemeinsam Tränen. Das Bett meiner Mutter war ein zerbrechliches Floß, das von mächtigen Schmerzenswogen getragen
wurde. Nicht nur einmal dachte ich, wir würden kentern, doch am Ende erreichten wir die strahlenden Gestade der Morgendämmerung.
Mama ist wieder eingeschlafen, aber sie fühlt sich warm an. Ich weiß nicht, wie ich dem Leguan überhaupt noch danken kann.
Ich müsste mir eigentlich neue Loblieder, noch nie da gewesene Huldigungen ausdenken.
*
Es kommt noch immer ab und zu vor, dass Mama ganz plötzlich einschläft, nur ist es jetzt ein ganz normaler Schlaf, aus dem
man sie mühelos wecken kann. Dieses Mal ist sie tatsächlich zurückgekehrt, doch all die Monate der Bewegungslosigkeit haben
an ihren Kräften gezehrt. Ihre Genesung wird lange dauern. Sie wird darum kämpfenmüssen, erneut von ihrem Körper Besitz zu ergreifen, und ich werde ihr zur Seite stehen. Ich werde bei ihrer Rekonvaleszenz
als ihr Wegbereiter walten. Mit meinen Schneeschuhen des Optimismus werde ich ihr eine schöne breite Piste bahnen. Der örtliche
Pflegedienst wird alle drei Tage einen Physiotherapeuten einfliegen, und ich möchte seine Methoden erlernen, denn in Sachen
Disziplin und Körpertraining will ich unbedingt ihr Guru werden. Ich werde ihr sanfter Coach, ihr wandelndes strahlendes Lächeln
sein.
*
Mama arbeitet hart. Sie tut ihr Bestes, aber es ist nicht leicht; momentan schafft sie es gerade eben, einen Löffel zu halten.
Ich spiele ihr eine ganze Aerobicshow an Zuversicht vor und beklatsche jede noch so geringe Anstrengung. Ich massiere ihre
armen schmerzenden Muskeln und plaudere dabei über alles Mögliche, um sie nur ja von ihrem Leid abzulenken und ihre düstere
Stimmung zu vertreiben. Ich fülle die Leere ihres Gedächtnisses, indem ich ihr einen chronologischen Überblick über die zurückliegenden
Monate gebe. Natürlich sprechen wir über Papa, allerdings ohne die Tiefe des Schachts auszuloten, den sein Tod in unser Leben
getrieben hat. Mama hat mir anvertraut, dass sie von einer goldenen Maske träumt, die sich über sie neigt. Ich würde ihr gern
helfen, alles zu begreifen, halte es aber für ratsam, abzuwarten, bis ihr Körper erstarkt und die Wunde an ihrem Herzen vernarbtist; dann will ich ihr alles erzählen. Es ist ohnehin schwer genug, ihr Lucs Gegenwart plausibel zu machen.
Mama wollte wissen, wer dieser Junge mit dem zerzausten Haar sei, der unentwegt vor ihrem Zimmer auf und ab gehe und nicht
wage, hereinzukommen. Ich stellte sie einander vor, während Luc mit der Miene eines Tintenfischs in der Suppe wie gebannt
auf der Türschwelle stehen blieb. Zu schüchtern, um auch nur drei zusammenhängende Worte hervorzubringen, machte er sich aus
dem Staub, und seither haben wir ihn nicht wiedergesehen. Um sein seltsames Verhalten zu rechtfertigen, vertraute ich Mama
alles an, was ich ihr über ihren Freund berichten konnte. Es rührte sie, zu hören, dass er keine Mutter mehr hat. Und als
ich ihr erzählte, was für eine Stütze Luc für mich, den vorübergehenden Waisenjungen, gewesen sei, wurde sie von tiefer Dankbarkeit
ergriffen. Sie hätte ihm gern gedankt, doch er hatte sich in Luft
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