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Das Lächeln des Leguans

Titel: Das Lächeln des Leguans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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abstatten wollte, doch als ich sah, wie sich seine Hände nach mir ausstreckten, wusste ich,
     dass er gekommen war, um seinen Kopf zu holen.
    »Ich habe ihn nicht gefunden«, sagte ich mit erstickter Stimme. »Wir haben überall gesucht, aber er war nirgends.«
    Ich suchte nach einer Ausrede, einer Erklärung. Ich wollte das Gespenst wissen lassen, dass es nicht meine Schuld war, indessen
     blieben seine Hände inständig bittend erhoben, und von seinen Fingern gingen kalte Wellen aus, die mir die Kehle zuschnürten.
     Er setzte sich in Bewegung. Er schritt vorwärts, wobei das Parkett unter seinem unwirklichen Schattengewicht knarrte, und
     streckte mir seine Hände nicht mehr flehend, sondern fordernd entgegen. Ich stand stocksteif da, außerstande, die Flucht zu
     ergreifen, während sich seine Hände immer weiter nach mir ausstreckten und eine warme Natter mein Bein hinabglitt, sich aus
     dem Hosenbein meines Schlafanzugs schlängelte   …
    Plötzlich war ich wieder in meinem Bett, und Luc erstickte meine Schreie. Er versicherte mir, ich hätte nur schlecht geträumt
     und solle nur ja still sein, um nicht das ganze Haus aufzuwecken. Trotz der noch immer bedrohlich wirkenden Dunkelheit gelang
     es mir, mich zu beruhigen. Meine Laken waren urindurchtränkt, doch konnte ich ohnehin nicht mehr schlafen. Wir zogen uns rasch
     an, schlichen aus dem Haus und machten uns auf zur Bucht,um den Leguan zu befragen. Denn so viel stand fest: Der Geist würde in der nächsten Nacht zurückkehren. In der übernächsten
     auch, und in der darauf folgenden, immer wieder, solange es nötig sein würde. Ich hatte keine andere Wahl; ich musste einen
     Weg finden, ihm seinen Wunsch zu erfüllen.

17
    Nach einem quälenden Vormittag, an dem wir uns das Hirn zermartert hatten, kamen wir schließlich zu einer Lösung: Wir würden
     einen Ersatzkopf herstellen. Das mussten wir, denn das Original blieb unauffindbar. Zumindest würden wir so endlich handeln
     und etwas gegen die Apathie unternehmen.
    Alles, was wir dazu brauchten, fand ich in einem Schrank auf dem Dachboden, wo Großmutter ihre Perücken aus den sechziger
     Jahren aufbewahrte. Etwa zehn synthetische Skalps fingen dort Staub, ich brauchte mir nur einen auszusuchen, außerdem nahm
     ich den Kopf aus Styropor mit, der als Sockel diente. In der Buchterwarteten mich auf dem kleinen Tisch diverse, wie chirurgisches Gerät angeordnete Werkzeuge. Wir machten uns an die Arbeit,
     schnitten, klebten und kämmten eifrig drauflos wie fanatische Heimwerker. Ich stellte schon bald fest, dass es nicht unbedingt
     auf Ähnlichkeit ankam. Es galt, den Geist nicht etwa mit einer schlechten Kopie zu täuschen, sondern ihn anzulocken, indem
     man ihm ein ungewöhnliches Objekt präsentierte. Und da es um Kunst ging, strengten wir unsere Fantasie an und vergaßen die
     Zeit, bis die Abendsonne sich neugierig senkte und einen Strahl in die Grotte sandte.
    Vor mir steht das Resultat unserer Inspiration. Es ist ein prächtiger Kopf aus Gold. Seine Wangen sind Seeigelrücken, seine
     Pupillen winzige Kieselsteine, und schillernde Muscheln dienen ihm als Ohren. Wir haben ihn in glänzendem Gold angemalt, mit
     Arabesken verziert, ihm eine Frisur aus Federn gesteckt und ein Krone aus Walbarten aufgesetzt. Er wirkt wie die kostbare
     Maske eines unterseeischen Pharaos. Der Kopf ist prächtig. Selbst der Leguan scheint beeindruckt zu sein. Mal sehen, ob der
     Geist sich damit zufriedengibt   …
     
    *
     
    Ein Baldachin aus Zweigen schützte den Friedhof vor den indiskreten Blicken des Mondes. Das große, kunstvoll geschmiedete
     Kreuz der Ahnen ragte über den Gottesacker wie eine Vogelscheuche über dem Zahnfleisch eines riesigen klaffenden Mundes. Wie
     Kobolde schlichenwir lautlos zwischen den Grabsteinen hindurch bis zu dem meines Vaters, der erschreckend fahl aussah. Es blieb jedoch keine
     Zeit zu zaudern, und im Schein unserer Taschenlampen bissen unsere Spaten in den Rasen. Ihrer Kruste entledigt, gab die Erde
     unter den kühlen Küssen der Schaufeln nach. Wir verwandelten uns in tatkräftige Muskelmaschinen, darauf bedacht, unsere Kräfte
     gut einzuteilen, und gingen mit dem Einsatz derer, die bis zum bitteren Ende durchhalten wollen, zu Werke. Man muss seinen
     eigenen Vater exhumiert haben, um zu wissen, was in mir vorging, während das Grab immer tiefer und mit ihm meine Gedanken
     immer tiefgründiger wurden. Es war, als würden die schweren Wandbehänge des Vergessens

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