Das Lächeln meiner Mutter
Telenovelas.
Mit Manon lernte Lucile wieder eine gewisse Leichtigkeit.
Ich teilte mir damals mit einer Freundin eine Wohnung ganz in der Nähe und hatte nach einigen Monaten, in denen ich mir nicht sicher war, wieder mit dem Studium angefangen. Langsam lernte ich es, mein Tempo und meinen Schwindel abzuschwächen, meine zu große Dünnhäutigkeit zu akzeptieren und diesen Lebenshunger, der mich verzehrt hatte, zu zähmen.
Lucile versuchte uns beiden ein neues Gesicht zu zeigen, sie war aufmerksam und rücksichtsvoll, hatte wieder zu kochen begonnen und erfand neue Rezepte, und jede Woche hängte sie für mich eine kleine Tüte mit meinen Lieblingssüßigkeiten an ihr Fenster.
Nach meinen Vorlesungen ging ich auf einen Tee, ein spontanes Abendessen oder einen Film im Cinéclub in der Rue des Entrepreneurs vorbei, bei meiner Mutter und meiner Schwester, deren Beziehung sich langsam in neuer Form wieder knüpfte und sichtbar wurde. Wir erzählten uns aus unserem Leben, Luciles Bericht war immer kürzer als unsere, vorsichtig und zurückhaltend. Sonntags gingen wir in das Kino im Beaugrenelle-Viertel oder ins Kinopanorama, im Frühjahr genossen wir die ersten Sonnenstrahlen und legten uns entweder auf die Wiesen des Square Saint-Lambert oder setzten uns auf die Bänke im Park Georges Brassens. Winters wie sommers gingen wir stundenlang spazieren.
Lucile ist immer gern durch Paris gewandert, sie erkundete neue Viertel, trank irgendwo einen Fruchtsaft oder einen heißen Kakao, brach dann wieder auf und lief weiter, sie ließ sich von der körperlichen Ermüdung weitertragen und berauschen. Ob gemeinsam oder einzeln, Gehen ist wahrscheinlich die Beschäftigung, die Manon und ich am meisten mit ihr teilten.
Es war eine sanftere Phase, in der es dennoch vorkam, dass Luciles Gesicht mit einem Mal erlosch oder sich verschloss, dass ein Regentag sie in bodenlose Mutlosigkeit stürzte oder dass sie ganz plötzlich ihre Zurückhaltung aufgab und zornig wurde, weil sie sich abgelehnt oder nicht respektiert fühlte. Wir wussten, wie sehr Luciles Leben zuallererst von ihrer Medikation abhing, wie fragil alles war. Immerhin, Lucile war auf ihre Weise da: eine kostbare und nie zudringliche Anwesenheit. Es war eine Zeit des Friedens, in der wir neue Kraft schöpfen konnten.
Doch Lucile wurde wieder von der Brandungswelle des Schmerzes und der Schuldgefühle eingeholt und ließ die Vorzeichen eines
Danach,
die Indizien für eine mögliche Wiederherstellung zerplatzen.
[home]
L ucile hatte wieder mit dem Trinken angefangen, das hatte Manon gleich bei ihrer Rückkehr aus den Ferien bemerkt. Als sie versuchte, mit Lucile darüber zu sprechen, hatte diese erwidert, sie sei vierzig Jahre alt, habe keine Freunde, keine Liebhaber und eine sterbenslangweilige Arbeit, es sei also nur normal und eigentlich sogar wünschenswert, dass sie sich in die Welt der Phantasie flüchte. Lucile versuchte nichts vor uns zu verbergen, im Gegenteil konnten wir die Provokation nicht übersehen, wenn sie vor unseren Augen eine Bierflasche nach der anderen öffnete oder in der Toilette einen Artikel an die Wand heftete, in dem vor der regelmäßigen Einnahme von
Rohypnol,
einem Schlafmittel, das sie seit Jahren nahm, und seiner Kombination mit Alkohol gewarnt wurde. Anfangs sah ich in ihrem Verhalten eine Art Hilferuf, die Weigerung, unser Heranwachsen und unsere zunehmende Entfernung von ihr hinzunehmen, den undeutlichen Wunsch, die Rollen umzukehren und unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Einige Wochen lang hielt mich Manon über Luciles immer ausweichenderes und geheimnisvolleres Verhalten auf dem Laufenden. Was die Welt der Phantasie anging, so grübelte Lucile wieder über die bösen Absichten nach, die sie den wenigen Menschen in ihrer Nähe unterstellte, sie behauptete, Opfer eines Spionageangriffs und diverser Betrugsversuche zu sein, ganz zu schweigen von dem Gashahn, der in ihrer Wohnung schon mehrmals geöffnet worden sei.
Dann bildete Lucile sich ein, dass Manon Crack rauchte, und schließlich setzte Lucile Manon vor die Tür und schickte sie zu Gabriel zurück.
Der Verleger, bei dem sie seit mehreren Jahren gearbeitet hatte, hatte Lucile und siebzehn weitere Angestellte gerade aus wirtschaftlichen Gründen entlassen. Sie war voller Angst.
Lucile lebte in einer Fiebrigkeit, die nichts Gutes verhieß, sie war aggressiv und überempfindlich und machte immer mehr Geheimnisse um ihr Privatleben, sie erfand galante Rendezvous
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