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Das Lächeln meiner Mutter

Das Lächeln meiner Mutter

Titel: Das Lächeln meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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Schranktür wieder, auf der es nur um die ersten beiden Generationen geht:
    Georges
06 .  09 .  1917 – 2000
Liane
07 .  12 .  1919
Lisbeth
19 .  07 .  1944
Barthélémy
15 .  11 .  1945
Lucile
17 .  11 .  1946
Antonin
10 .  05 .  1948 – 1954
Jean-Marc
07 .  07 .  1948 – 1963
Milo
08 .  08 .  1950 – 1978
Justine
18 .  03 .  1952
Violette
06 .  11 .  1954
Tom
10 .  07 .  1962
    Niemand wird diese Listen noch vervollständigen können. Es sind weder Lianes (im November 2007 ) noch Luciles Todesdatum (einige Wochen später, am 25 . Januar 2008 ) verzeichnet. Auch die künftigen Kinder werden nicht mehr darauf stehen. Der Tod meiner Großmutter hat das Ende des Hauses in Pierremont eingeläutet, einer kleinen Stadt im Département Yonne, durch die der Canal de Bourgogne führt und wo ihre und dann unsere Familie zu Hause war. Die Gemeinde machte Gebrauch von ihrem Vorkaufsrecht, und inzwischen ist das Haus sicher verschwunden, um Platz für die Verlängerung der Route nationale zu machen. Der Kampf gegen dieses Bauvorhaben war eine der großen Schlachten meines Großvaters Georges, er hat das Haus mehrere Male vor dem Abriss gerettet.
    Ich betrachte dieses Foto und seine seltsame Geometrie. Genau in der Mitte der Geschwisterschar, als wäre er im Zentrum, der Tod von drei Brüdern meiner Mutter: drei aufeinanderfolgende Zeilen, die durch das zweite Datum länger sind, lang wie ihr unerschöpflicher Widerhall im Herzen des Lebendigen.
     
    Als ich das letzte Mal zu Violette, Luciles jüngster Schwester, ging, haben wir in ihrem Keller nach den verschiedenen Sachen gesucht, die ich sehen oder auswerten wollte. Violette hat die meisten Papiere aus dem Haus in Pierremont an sich genommen, als es leergeräumt wurde. In den Umschlägen mit alten Fotos, die nach Kindern sortiert waren, entdeckten wir ein Bild von Jean-Marc, das wir beide noch nie gesehen hatten, es zeigt ihn kurz nach der Ankunft in unserer Familie. Jean-Marc sieht ins Objektiv, seine Arme sind mager, sein Bauch wirkt geschwollen wie der von unterernährten Kindern, sein Haar ist abrasiert. Sein Blick ist voller Furcht. Ein Kind, das Angst hat. Wir betrachteten das Foto schweigend, betroffen von der unendlichen Traurigkeit, die von ihm ausging, dann legte ich es wieder zu den anderen. Wir sagten beide nichts.
     
    Am selben Tag gab mir Violette die Vergrößerung eines anderen Negativs, das im Sommer 55 aufgenommen worden war, also ein Jahr nach Antonins Tod und einige Monate nach Jean-Marcs Ankunft. Die ganze Familie sitzt in dem Peugeot 202  Cabrio, den mein Großvater damals fuhr, das Verdeck ist zurückgeschlagen, anscheinend steht der Wagen mitten auf einer von Bäumen gesäumten Landstraße. Im Vordergrund hält Liane Violette im Arm, die etwa acht oder neun Monate alt sein dürfte, beide sehen den Fotografen an. Georges ist im Profil getroffen, er hat den Kopf zu seinen Kindern umgewandt. Zwischen den beiden Sitzbänken stehen Seite an Seite Barthélémy und Jean-Marc, und im Hintergrund sitzen Milo, Justine, Lisbeth und Lucile auf der Lehne der Rückbank und schauen ins Objektiv. Alle lächeln im Sommerlicht, es ist nicht das für den Fotografen aufgesetzte starre Lächeln, es ist ein echtes, belustigtes. Jean-Marcs Haar ist gewachsen, seine Wangen sind voller. Lucile stützt sich auf den Wagenschlag, sie hat das Haar zum Pferdeschwanz zusammengebunden, sie sieht hinreißend aus, und sie lacht. Wie unwillkürlich haben sich die Kinder auf die rechte Seite des Fotos gedrängt, neben Milo ist ein Platz leer geblieben.

[home]
    M anchmal schützte Jean-Marc grundlos seinen Kopf, ganz plötzlich, wie von einem unsichtbaren Schlag bedroht. Dann ging Liane zu ihm, zog die um den Kopf geschlungenen Arme auseinander, legte sein Gesicht frei und streichelte ihm die Wange. Man musste nett zu ihm sein, ihm bei den Hausaufgaben helfen, ihm zeigen, wie man sich die Schuhe zubindet und sich bei Tisch benimmt, und man musste ihm die Gebete für die Messe beibringen. Man musste ihm Spielzeug und Bücher leihen und freundlich mit ihm sprechen. Lucile liebte Jean-Marc nicht. Sie liebte ihn nicht, wie sie Lisbeth oder Barthélémy liebte und Antonin geliebt hatte: ohne darüber nachzudenken. Sie versuchte, ihm gegenüber etwas Sanftes zu empfinden, was ihr manchmal gelang, wenn Jean-Marc sie
herzzerreißend
ansah, wie ihre Mutter es nannte, doch danach kam jedes Mal dieses Gefühl von Ohnmacht zurück. Lucile fühlte sich schuldig dafür, dass

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