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Das Lächeln meiner Mutter

Das Lächeln meiner Mutter

Titel: Das Lächeln meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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liegt, und zwei tödlich verunglückte Jungen. Nach mageren und beengten Jahren ist die Familie in ein Haus in Versailles gezogen. In einer kinderreichen Familie kommt selten Langeweile auf. Und in dieser genießt man eine Erziehung, die vielleicht erklärt, warum hier so viel Persönlichkeit und Phantasie anzutreffen sind.«
     
    Nachdem ich die verschiedenen Passwörter bekommen hatte, mit deren Hilfe ich den Film zum ersten Mal abspielen konnte, brauchte ich mehrere Tage, um ihn zu sehen. Ich wollte mit meinem Computer allein sein. Diese Bilder zeigen etwas, das Lucile einige Jahre später verloren hat, das vom Leben in tausend Stücke zerbrochen wurde, wie in den Märchen, wo sich die Hexen mit den knotigen Händen wütend über die zu schönen Prinzessinnen hermachen. Unter den Zeugnissen, die ich während meiner Recherchen fand, gehört diese Reportage ganz sicher zu denen, die mich am meisten erschüttert haben.
    Lucile wird mehrmals interviewt, die Kamera nähert sich ihrem Gesicht, zeigt ihren Blick und ihr Lächeln in Großaufnahme, während sie einige Jugenderinnerungen erzählt. Von Lianes und Georges Kindern ist sie am meisten zu sehen. Sie erwähnt die steckengebliebene Flucht mit Lisbeth, die
lignes parties,
Zeilenpartys, zu denen die Mädchen heimlich ihre Freundinnen und Freunde einluden, wenn Georges ihnen zur Strafe ganze Seiten zum Abschreiben aufgegeben hatte. Alle krempelten die Ärmel hoch und machten sich ans Werk. Sie gibt zu, dass sie nie etwas für die Schule getan hat. Dabei habe es, wie sie erklärt, nicht an
betrübten, aber optimistischen
Ermahnungen gefehlt, um sie auf den richtigen Weg zu bringen.
    »Aber bei mir hat das nie funktioniert.«
     
    Mit dieser Zurückhaltung, die ihr immer eigen war und mit der sie jedes Wort abwägt, macht Lucile Furore. Sie ist von verblüffender Schönheit und sprüht vor Intelligenz, ich glaube, das würde jedem auffallen, der diesen Film sieht. Auf einigen Bildern bin ich als Kind neben ihr zu sehen, in irgendein Spiel vertieft.
    Etwas später sagt Lucile:
    »Ich habe ein sehr ängstliches Naturell.«
    Und noch etwas später:
    »Sie haben uns Vertrauen in die Zukunft gegeben, das ist ihnen wirklich gelungen.«
     
    Ich glaube, zu dem Zeitpunkt, als sie befragt wird, empfindet sie genau das. Sie hat Angst, und sie hat Vertrauen. Das Leben wird die Entscheidung übernehmen.
     
    Die Reportage zeigt eine fröhliche, einige Familie, in der Autonomie und freie Persönlichkeitsentwicklung immer Vorrang hatten. Lisbeth, Barthélémy, Milo, Justine und Violette werden nacheinander befragt, und sie alle bezeugen die Freiheit, die sie genießen: die Freiheit zu sprechen, ins Kino zu gehen, sein Zimmer nach eigenem Geschmack einzurichten, sich in der Umgebung zu bewegen und zu reisen. Violette erklärt, sie fahre allein mit dem Zug nach Paris und habe das schon mit zehn getan, Lisbeth erzählt von ihren Reisen nach Amerika und Mexiko. Das alles stimmt. Man sagt nicht, dass Tom das Down-Syndrom hat (er bleibt während der ganzen Reportage im Bett!), und geht auch nicht weiter auf die
tödlich verunglückten
Jungen ein. Liane erzählt mit ihrem unwiderstehlichen Lächeln, wie sie ihre Prinzipien aufgegeben habe und wie sehr sich die Erziehung ihrer Kinder von ihrer eigenen unterscheide, während Georges in wohlklingenden Sätzen erklärt, man müsse imstande sein, seine Sprösslinge aus dem Nest zu entlassen. In die Reportage einbezogene Auszüge aus den Super- 8 -Filmen von den Spanien-Urlauben verstärken noch den Eindruck vollkommenen Glücks.
     
    Justine hat diesen Film gehasst und wollte ihn, nachdem ich ihn gefunden hatte, fast nicht sehen. Später erzählte sie mir, wie unbehaglich und verwirrt sie sich zum Zeitpunkt des Drehens gefühlt hatte und wie man ihr einen der wenigen Sätze, die man sie sagen hört, wenn nicht diktiert, so doch nahegelegt hat:
    Ja, mein Vater ist zugleich ein Papa und ein Freund, ein Freund, mit dem man lachen und reden kann, ich glaube, man kann ihm alles sagen, und wenn man ihm etwas sagen möchte, dann fragt man: »Können wir beide morgen zusammen zu Mittag essen?«, und dann isst man freundschaftlich zu Mittag.
    Sie war es auch, die mir erzählte, wie sehr dieser Film Milo verletzt hatte, er war außer sich und machte keinen Hehl aus der Rebellion und der Wut gegenüber seinem Vater, von der keine Spur mehr bemerkbar ist. Milo ist nur wenige Sekunden lang zu sehen, wie er eine Zigarette ausdrückt und der Kamera zu

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