Das Lächeln meiner Mutter
Monaten arbeite und aus dem vielleicht ein Buch wird, eine Dimension fehlt. Ich habe die falschen Farben und Hintergründe verwendet, alles durcheinandergebracht, Rot und Schwarz verwechselt und unterwegs den Faden verloren. Doch im Grunde hätte mich nichts, was ich sonst hätte schreiben können, eher zufriedengestellt, nichts hätte mir das Gefühl gegeben, ihr und ihnen näher zu sein.
Was beim Lesen lebendig werden sollte, war das besonders Freudige an meiner Familie, diese lärmende, überschäumende Vitalität, diese energische Art, das Tragische zu bekämpfen.
Beim Lesen sollten die vielen Sommer lebendig werden, die Liane und Georges mit ihren Kindern an südlichen Stränden in Frankreich, Italien und Spanien verbrachten, diese spezielle Fähigkeit von Georges, über seine Verhältnisse zu leben und Orte ausfindig zu machen, die zu günstigen Preisen seiner Maßlosigkeit entsprachen und wohin er seine immer durch irgendeinen blässlichen Vetter oder einen blutarm wirkenden Nachbarsjungen vermehrte Sippe verfrachten konnte.
Diese Sommerreisen sind auf einer ganzen Reihe von Super- 8 -Filmen festgehalten, von denen ich VHS -Kopien bekommen habe und die Lucile und ihre Geschwister am Strand zeigen; mit sonnengebleichtem Haar und in der damals modernen Badekleidung umringen sie im Wasser ein Schlauchboot oder liegen in einer Reihe im Sand. Lucile ist schön, sie lächelt, spielt mit, rennt mit den anderen über den Strand, sie bleibt bei ihnen.
Ich habe auch nicht erwähnt, dass Georges vermutlich einer der ersten Familienväter war, die ihren Kindern das Wasserskifahren beibrachten, dass er seine Kinder stolz am Steuer eines aufblasbaren Kanus mit 2 - PS -Motor auf ihren von ihm selbst gefertigten Holzskiern über die Yonne zog. Im Laufe der Jahre schaffte Georges eine seriösere Ausstattung an, und Wasserski wurde zum Familiensport.
Luciles Kindheit ist mit ihr gestorben und wird für uns immer verschwommen bleiben.
Aus Lucile wurde diese zarte, außerordentlich schöne, lustige, schweigsame, oft subversive Frau, die lange am Rand des Abgrunds stand und ihn nie aus den Augen ließ, diese bewunderte, begehrte Frau, die andere in Leidenschaft versetzte, diese geschundene, verletzte, gedemütigte Frau, die alles an einem Tag verlor und mehrere Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken hinter sich brachte, diese untröstliche, immer von Schuldgefühlen geplagte und in ihre Einsamkeit verschanzte Frau.
Auf der VHS -Kassette mit der Aufschrift »Die Poiriers 1960 – 1970 « fand ich einen Film, den ich noch nicht kannte. Darauf sind Lucile und mein Vater Gabriel zu sehen, kurz vor ihrer Heirat besuchen sie meine Großeltern in dem Haus in Pierremont. Im blassen Licht eines Herbstwochenendes klettern sie aus einem Kleinwagen der Sechziger, den ich nicht genau zu bestimmen weiß, und stellen sich ein wenig schüchtern dem Kameraobjektiv. Liane empfängt sie, legt eine Hand auf Luciles Bauch und blickt dann demonstrativ erfreut in die Kamera, die wahrscheinlich von Georges gehalten wird. Ich beobachte Lucile und Gabriel und bin verblüfft über die Kindlichkeit, die sie noch ausstrahlen, alle beide, zwei verkleidete Schlingel, denen man gesagt hat, sie sollen Erwachsene spielen. Sie tragen helle Shetlandpullis, bleiben dicht zusammen, Gabriel fasst Lucile um den Hals; Lucile hat die runden Wangen sehr junger Mädchen, weder ihr Körper noch ihr Gesicht scheinen der Adoleszenz entwachsen zu sein. Wenn ich es recht bedenke, wirkt meine fünfzehnjährige Tochter älter als sie.
Ich habe sowohl von Lisbeth als auch von der Schwester meines Vaters Kopien der Briefe erhalten, die Lucile schrieb, als sie mit mir schwanger war, und zwar gleich nachdem sie ihre Schwangerschaft entdeckt hatte und in den Monaten danach. Sie spricht von der nahenden Heirat, von den Bewegungen des Kinds in ihrem Bauch, den Sozialversicherungsanträgen und den Problemen mit den Gaswerken. Sie ist »so bewegt, entzückt, verstört, verliebt … dass sie nicht weiß, womit sie anfangen soll«. Sie hört
Salut les Copains,
isst Äpfel und versucht, Ordnung in das Apartment zu bringen, in das sie und Gabriel gezogen sind. Unten auf einem Blatt zeichnet sie sich im Profil, mit vorstehendem Bauch und Po. Am Ende eines kleinen Pfeils steht: »Das bin ich. Da gibt es nichts zu lachen.« In einem Brief an Lisbeth äußert sie sich über ihre Vorlieben in Sachen Vornamen: Géraldine, wenn es ein Mädchen wird, und Lucifer oder Belzébuth,
Weitere Kostenlose Bücher