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Das Lächeln meiner Mutter

Das Lächeln meiner Mutter

Titel: Das Lächeln meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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so hart für ihre Tochter, die ihre Kinder allein aufzieht.
     
    Einige Monate später machte Lucile einen Rückzieher. Sie sprach nicht mehr von Inzest, sondern von einer inzestuellen Beziehung und widerlegte so, was sie über die vollzogene Vergewaltigung geschrieben hatte.
    Wie Tausende andere Familien hat auch meine sich mit dem Zweifel arrangiert oder ihn abgeschüttelt. Man konnte höchstens eine gewisse Ambivalenz einräumen, ein Klima, das Gedankenverwirrungen begünstigte, doch deshalb gleich an das Schlimmste denken … Eine Vergewaltigungsphantasie von Lucile, das war es. Damit atmete es sich freier, die Luft war ohnehin so knapp.
    Und schon bald würde man den Beweis haben, dass etwas mit ihr nicht stimmte.
     
    Jahre später, zu einer Zeit, als Manon und ich schon erwachsen waren und es Lucile gutging, fragte Manon sie noch einmal danach. Lucile antwortete, ja, es sei geschehen. Und niemand habe auf den Text reagiert, den sie verschickt hatte.
    Der Text war bloßes Papier geblieben, und Lucile bekam als Antwort nur versteinertes Schweigen.
     
    Als ich die Geschwister meiner Mutter vor einigen Monaten bat, mir von ihr zu erzählen, waren sie alle mit ungeheuchelter Begeisterung dazu bereit. Eine Hommage an Lucile, der Versuch, sich ihr zu nähern: aber ja, natürlich.
    Für uns alle bleibt Lucile – ihre Sanftheit, ihre Heftigkeit – ein Mysterium.
    Selbstverständlich gehörte die Hypothese von Luciles Vergewaltigung durch meinen Großvater zu den wichtigsten Themen, die ich anschneiden wollte. Dennoch hatte ich, als ich mit dieser Arbeit begann, keinerlei Gewissheit.
     
    Wenn ich die Gespräche, die ich mit jedem von ihnen geführt habe, wieder anhöre, scheint mir die Frage von den ersten Worten an allgegenwärtig zu sein. Sie lastet schon auf uns, noch bevor sie gestellt wird. Trotz des Schweigens ist der Eindruck, den Luciles Text gemacht hat, auch Jahre später noch da. Sie wissen, dass ich darauf zu sprechen kommen werde, zögern den Moment hinaus oder ziehen ihn im Gegenteil vor, einige geben zu, Georges habe seine Tochter
angebetet,
sie sprechen von
Faszination
oder
Leidenschaft.
Ja, eine Liebe und auch ein Blick, der sie womöglich bedrückt und das Phantasma hervorgerufen habe. Aber sind nicht alle Töchter in ihren Vater verliebt? Sie sind sehr vorsichtig, wägen jedes Wort ab. Inzest, nein, das ganz sicher nicht: keine Geste in dieser Richtung.
    Nur Justine (die dieses Thema gleich zu Beginn anspricht) hält die tatsächliche Vergewaltigung für nicht ausgeschlossen.
     
    Justine ist die letzte von Luciles Brüdern und Schwestern, die ich befragt habe. Sie lebt auf dem Land und kommt nicht oft nach Paris, wir hatten Mühe, einen Termin zu finden, an dem ich sie besuchen konnte, und schließlich kam sie zu mir. Ich sah diesem Gespräch beklommener entgegen als den anderen, weil die Beziehungen zwischen Justine und Lucile äußerst gespannt und oft konfliktreich gewesen waren, als habe sich zwischen ihnen ein Schmerz kristallisiert, über den sie nicht sprechen konnten. Nachdem ich Lisbeth, Barthélémy und Violette gehört hatte, die instinktiv ausgeschlossen hatten, dass Lucile die Wahrheit gesagt haben könnte, war ich sehr gespannt auf das, was Justine, die nie ein Blatt vor den Mund nimmt (und sich einige Jahre lang von Georges ferngehalten hat) zu sagen hatte.
    Justine erzählte mir von einem Sommermonat, den sie, als sie achtzehn oder neunzehn war, allein mit Georges verbracht hatte. Das war zu der Zeit, als Georges seine Kinder einzeln oder in Grüppchen mit nach Pierremont nahm, damit sie ihm dort bei den Umbauarbeiten halfen. Justine erzählte mir, er habe ihr unablässig zugesetzt, sie solle doch ihr T-Shirt und ihren BH ausziehen, ohne Kleider sei es viel bequemer. Er wollte sie fotografieren, ihr helfen, ihre Sexualität zu entdecken, ihr das Masturbieren beibringen. Justine entwischte ihm bei der ersten Gelegenheit und ging am Kanal spazieren, Georges schloss die Eingangstür ab. Die ganze Zeit hatte sie Angst. Er hatte eine Fotoserie von Justine gemacht, die sie danach nirgends mehr finden konnte. Georges war kein Mann, zu dem man nein sagte.
    Ich fragte genauer nach: Wie weit war er gegangen? Er hatte sie
befummelt,
aber nicht vergewaltigt. Vielleicht hatte er Angst, sie würde darüber sprechen, denn anders als Lucile machte Justine den Mund auf. Justine hat die Unterdrückung durch Georges erlebt, seinen Blick und die Bedrohung, die von ihm ausging.
    Heute bekennt sie

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