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Das Lächeln meiner Mutter

Das Lächeln meiner Mutter

Titel: Das Lächeln meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delphine de Vigan
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Lucile sehr viel, sie lachte, brach in Schluchzen aus, klaute Fritten aus dem Teller ihres Nachbarn, fuchtelte mit den Armen herum und rief wegen jeder Kleinigkeit nach dem Kellner. Sie war davon überzeugt, dass dieser uns absichtlich länger warten ließ, dass er etwas gegen uns habe, er sei sauer auf sie, auf sie persönlich, das habe sie schon bemerkt.
    Ich sah Lisbeth an, ich wartete darauf, dass sie etwas sagte, macht euch keine Sorgen, was gerade geschieht, ist ganz normal, kein Grund zur Panik, nicht einmal zur Angst, eure Maman wird wieder wie früher, einmal gut ausschlafen, und dann ist das vorbei, doch Lisbeth wirkte genauso bestürzt wie wir. Nach dem Abendessen gingen wir wieder hinauf in die Wohnung, und Lisbeth fuhr nach Hause. Als ich gerade das Licht ausknipsen wollte, sagte mir Lucile, sie würde mir gleich am nächsten Tag die rosa Feincordhose schenken, um die ich schon so lange vergeblich gebettelt hatte.
     
    Seit einigen Tagen gab Lucile Geld aus, das sie nicht hatte, wir würden es bald herausfinden, Lucile kaufte ein, ohne auf das Geld zu sehen.
     
    Noch später in der Nacht hörte Manon sie wieder im Bett weinen.

[home]
    A m Tag darauf beschloss Lucile, sie werde nicht zur Arbeit gehen (sie war auch am Vortag nicht hingegangen). Zudem meinte sie, wir hätten langes Ausschlafen verdient. Wir waren spät zu Bett gegangen, also entband sie uns vom Schulbesuch, für wie lange, sagte sie nicht, doch die Art, wie sie es ankündigte, ließ vermuten, dass es für längere Zeit sein könnte. Ferner spürte Lucile schon seit einigen Tagen aus der Distanz, dass Monsieur Rigon, der Direktor meiner Schule, sehr gereizt war. Am besten vermied man jeden Kontakt mit ihm. Ich hatte überhaupt keine Lust, bei ihr zu bleiben, ich fand allmählich, dass sie sich nicht normal verhielt. Ich bestand darauf, zur Schule zu gehen, und versuchte auch Manon dazu zu überreden. Manon weigerte sich, sie wollte lieber bei Lucile bleiben, deren Verwirrung sie spürte.
    Im Bus zur Schule versuchte ich die Lage zu analysieren. Musste man sich Sorgen machen? Selbst nachdem ich noch einmal den letzten Abend und die vorangegangenen Tage hatte Revue passieren lassen, konnte ich mir nicht vorstellen, dass Lucile wirklich den Verstand verlor, und noch weniger, dass sie zur Gefahr für uns oder für sich selbst werden könnte. Lucile machte eine schlechte Phase durch, weiter nichts. Im Collège angekommen, stieß ich auf Virginia und Jean-Michel, einen anderen Klassenkameraden, die beiden wollten den Sportunterricht schwänzen und in die Galeries Lafayette gehen. Ich diskutierte kurz mit ihnen, immerhin war ich gerade mit dem Bus gekommen und wollte nicht so ohne weiteres wieder wegfahren, aber schließlich willigte ich ein, mit ihnen zu gehen. Aus einem Grund, den ich vergessen habe, gingen wir noch bei Virginia vorbei. Kaum in ihrer Wohnung, trat ich ans Fenster. Vom sechsten Stock aus konnte ich von oben beobachten, was in unserer Wohnung passierte. Lucile stand im Wohnzimmer, nackt, ihr Körper war weiß bemalt. Dieser Anblick raubte mir den Atem. Ich war wie gelähmt und konnte den Blick nicht von der Szene lösen, die ich zwar sah, aber nicht ganz glauben konnte. Ich suchte nach Manon, sie war außerhalb meines Blickfelds. Etwa zwei Stunden waren vergangen, seit ich die Wohnung verlassen hatte, irgendetwas stimmte nicht, stimmte überhaupt nicht, ich wollte nicht mehr in die Galeries Lafayette, ich wollte dort bleiben, ich wollte, dass alles aufhörte und wieder normal würde. Einen Augenblick sah ich Lucile zu, das Atmen fiel mir immer schwerer. Sie stand immer noch aufrecht da, an ihren ungeduldigen Gesten erkannte ich, dass sie Manon aufforderte, zu ihr zu kommen. Lucile stampfte mit dem Fuß auf. Manon erschien nicht, offensichtlich verweigerte sie ihr den Gehorsam. Plötzlich griff Lucile nach dem Holzbrett, das dem alten Friseurstuhl als Rückenlehne diente, sie hob es mit beiden Händen hoch über ihren Kopf, das Brett schwebte in der Luft, bereit, auf Manon niederzuschlagen. Ich rannte die Treppe hinunter, überquerte die Straße, ohne nach links und rechts zu sehen, passierte in Sekundenschnelle die Eingangshalle, stürmte unsere Treppe wieder hinauf und kam atemlos vor unserer Wohnungstür an. Violette stand davor, sie hatte schon zwei- oder dreimal vergeblich geklingelt, ich schrie, sie schlägt sie, sie schlägt sie, stürzte mich auf die Klingel und drückte mit aller Kraft, ich schrie wieder, Violette nahm

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