Das Lächeln meiner Mutter
immer wieder das Lied, das Barbara über diesen Tag im Jahr 1981 und über die Hoffnung, die er immer noch in sich trug, geschrieben hatte.
Regarde, quelque chose a changé, l’air semble plus léger,
c’est indéfinissable.
Regarde, sous ce ciel déchiré, tout s’est ensoleillé,
c’est indéfinissable.
Un homme, une rose à la main, a ouvert le chemin,
vers un autre demain …
On a envie de se parler, de s’aimer, de se toucher.
Et de tout recommencer.
Sieh, irgendetwas hat sich verändert, die Luft scheint leichter,
es lässt sich nicht definieren.
Sieh, unter diesem zerrissenen Himmel ist alles sonnig
geworden, es lässt sich nicht definieren.
Ein Mann mit einer Rose in der Hand hat den Weg
zu einem anderen morgen eröffnet.
Man hat Lust, miteinander zu sprechen, sich zu lieben,
sich zu berühren.
Und alles neu zu beginnen.
[home]
I m Grunde weiß ich nicht, welchen Sinn diese Suche hat, was von den Stunden übrig bleiben wird, in denen ich Kartons durchwühlt, vom Alter ausgeleierte Kassetten gehört, Behördenbriefe, Polizeiprotokolle und medizinisch-psychologische Berichte, leidgesättigte Texte gelesen und wieder gelesen, Quellen, Äußerungen und Fotografien verglichen habe.
Ich weiß nicht,
woran das liegt.
Doch je weiter ich vorankomme, desto mehr wächst meine innere Überzeugung, dass ich es tun musste, nicht um jemanden zu rehabilitieren oder zu ehren, nicht um etwas, was auch immer, zu beweisen, wiederherzustellen, zu enthüllen oder zu reparieren, nein, nur um mich anzunähern. Sowohl meinetwegen als auch meiner Kinder wegen – die, auch wenn ich es nicht will, vom Widerhall der Ängste und des Kummers belastet werden –, wollte ich zum Ursprung der Dinge zurückkehren.
Und dass von dieser Suche, so vergeblich sie auch sein mag, eine Spur bleibt.
Ich schreibe dieses Buch, weil ich jetzt die Kraft habe, mich mit dem zu befassen, was durch mich hindurchgeht und mich manchmal auch überwältigt, weil ich wissen will, was ich weitergebe, weil ich aufhören will, Angst zu haben, dass uns etwas geschieht, als lebten wir unter einem Fluch, weil ich mein Glück, meine Energie, meine Freude genießen will, ohne zu denken, dass uns etwas Schreckliches vernichten wird und dass der Schmerz immer im Dunkeln auf uns wartet.
Heute wachsen meine Kinder heran, und wenngleich es sehr banal ist, zu sagen, wie sehr mich das beglückt und bewegt, sage und schreibe ich es. Meine Kinder sind eigenständige Wesen, deren Persönlichkeit mich beeindruckt und mir Freude macht, heute liebe ich einen Mann, dessen Lebensweg meinen (oder eher umgekehrt) auf seltsame Weise gerammt hat, der mir zugleich so ähnlich und so anders ist als ich, dessen unerwartete Liebe mich zugleich beglückt, umwirft und stärkt, heute ist es zehn Uhr vierundvierzig, und ich sitze an meinem alten PC , den ich für seine Langsamkeit verfluche, aber um seines Gedächtnisses willen liebe, heute weiß ich, wie verwundbar das alles ist und dass ich jetzt, mit dieser zurückgewonnenen Kraft, schreiben und bis ans Ende gehen muss.
Weinen kann man dann immer noch.
Sich an Lucile annähern, mit aller Vorsicht der Welt oder mit aller Gewalt, heißt auch, sich an die anderen annähern, die Lebenden, übrigens auf die Gefahr hin, mich von ihnen zu entfernen. Meine Schwester habe ich, wie die anderen auch, gebeten, mir von Lucile zu erzählen, mir ihre Erinnerungen zu leihen.
Manon erzählte mir von jenem Januarmorgen und dann davon, dass sie mehrere Monate lang in Luciles Gegenwart nicht einschlafen konnte, dass sie in ihren Kleinmädchennächten von der Angst verfolgt wurde, ihre Mutter könnte in ihrem Zimmer auftauchen, um zu Ende zu führen, was sie begonnen hatte. Das hat mich erschüttert.
Manon erzählte mir aus ihrer Sicht von den Jahren danach, von den stummen Zuschauerinnen, zu denen wir geworden waren, unfähig, Luciles Schmerz ein Ende zu setzen.
Manon erzählte mir noch vieles andere, wovon dieses Buch zehrt und woran ich hoffentlich keinen Verrat übe.
Manon nahm mir das Versprechen ab, die Aufnahme unseres langen Gesprächs zu löschen (was ich getan habe), und schickte mir in den Tagen danach zwei Texte, die sie geschrieben hatte, den einen hatte sie nach unserem Treffen geschrieben, den anderen, als Lucile starb.
Von Manon, die so verschlossen ist, war das ein wunderbares Geschenk.
Von der Zeit nach Luciles erster Einweisung in eine psychiatrische Klinik sind eigentlich nur wenige
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