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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Kilikien?«
    Der Mann wurde allmählich ätzend.
    Gilgamesch richtete sich zu seiner vollen stolzen Größe auf und rezitierte: »So wisse denn, ich bin Gilgamesch von Uruk, Großkönig, König von Uruk, König der Könige, Herrscher des Landes Zwischen den Zwei Flüssen.«
    »König der Könige?« wiederholte Herodes. »Herrscher des Landes zwischen zwei Flüssen?« Er nickte, als wäre er höchst beeindruckt. »Aha. Wahrhaftig. Und was für zwei Flüsse wären das, bitteschön?«
    »Das weißt du nicht?«
    »Du mußt mir vergeben, mein Freund. Ich bin bloß ein Provinzler aus Judäa, obwohl ich das große Glück hatte, am kaiserlichen Hof in Rom erzogen zu werden. Und obwohl man mir wahrscheinlich etwas von deinen zwei Flüssen beigebracht hat, es scheint mir durch eines der verflixten zahlreichen Löcher in meinem Gedächtnis entschlüpft zu sein, und darum…«
    Derartige Rederei hatte Gilgamesch schon vielmals vorher gehört. Die Nachwelt steckte voll von solchen Spätlingen.
    Kühl sagte er. »Mein Land war euch Römern als Mesopotamien bekannt.«
    »Ach, diese Flüsse!« rief Herodes. »Warum sagst du das nicht gleich? König von Mesopotamien! Also ein Parther. Irgendwie mit Mithridates verwandt?«
    Gleich werfe ich den Kerl doch noch über die Reling, dachte Gilgamesch, der jetzt richtig wütend wurde.
    Mit großer Beherrschung sagte er: »Nein, kein Parther. Ein Sumerer! Wir waren vor den Parthern da. Vor den Babyloniern und Akkadiern. Und lange vor den Römern natürlich. Lange vor den Römern.«
    »Bitte tausendmal um Vergebung«, sagte Herodes.
    Gilgamesch funkelte ihn an, dann wandte er sich ab. Er starrte düster in die flammendurchzuckte Nacht. Die Eruption über Brasil wurde schwächer. Er überlegte, wie lange sie noch bis zur Insel brauchen würden. Es konnte nicht schnell genug gehen, wenn er sich das nervtötende Geplapper dieses Herodes während der ganzen Überfahrt anhören mußte!
    Nach einiger Zeit sagte Herodes: »Gedenkst du erneut König zu sein?«
    »Was? Weshalb sollte ich?«
    »Nun, die meisten Könige, die hierher kommen, wollen das.«
    »Und bist du wieder König geworden?« fragte Gilgamesch, ohne sich umzuwenden.
    »Ich ziehe es vor, darauf zu verzichten. Um dir die Wahrheit zu sagen, ich fand den Job nie besonders faszinierend. Und mir gefällt das Leben in Brasil viel zu gut. Seit meinem Tod ist das der erste Ort, an dem ich mich fast wie daheim fühle. Aber Brasil ist die Stadt Simons, und ich verspüre kein Verlangen nach einem Versuch, sie ihm wegzunehmen, ganz abgesehen davon, daß ich das gar nicht könnte. Wenn es ihm Spaß macht, hier den Boss zu spielen, soll er doch. Sage ich.«
    »Ich verstehe. Du bist über solcherlei Ehrgeiz hinaus.«
    »Also, du kennst sicher den alten Spruch, daß es besser ist, König am Arsch der Welt zu sein, als Sklave im Himmel. Das mag ja stimmen, allerdings weiß ich wirklich nicht viel über den Himmel. Angenommen, es gibt solch einen Ort, was ich sehr stark bezweifle. Jedenfalls, was mich betrifft, mir ist es angenehmer, einen anderen hier regieren zu lassen. Mein Wunsch ist es, weder zu herrschen, noch zu dienen, sondern mich nur um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Aber vermutlich findest du das nicht besonders klug, ja? Wenn du so ähnlich bist wie alle die anderen gewaltigen säbelschwingenden Gojim, die ich hier kennengelernt habe, dann juckt’s dich mächtig, dich wieder auf den Thron zu setzen, egal welchen, wenn es nur ein Thron ist.«
    »Nein!« sagte Gilgamesch.
    »Nein?«
    »Was sagtest du? Sich nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmern? Das gefällt mir. Mich um meinen Kram scheren, ja? Für mich war das – wie für dich auch – die Aufgabe, König zu sein, doch das ist lange her und war in einem anderen Leben. Jetzt und hier interessiert mich das nicht mehr. Worüber könnte man hier herrschen? In diesem Land der Betrüger und Schwindler, wo Orte auftauchen und verschwinden wie in Träumen, und wo die Zeit selbst schnell verfliegt oder langsam schleicht, wie es die Laune irgendeines Dämons will?« Gilgamesch spuckte über die Reling. »Nein, Herodes, du verkennst mich, wenn du denkst, ich würde je wieder König sein wollen! Laßt mich frei umherschweifen, jagen, wo ich will. Und laßt mich meinen einzig geliebten Gefährten wiederfinden, den ich hier in diesem Land der Nachwelt verloren habe, wie schon einmal im Land der Lebenden. Ich will nur wieder mit Enkidu vereint sein, meinem wahren Bruder, dem Freund

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