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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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gottweißwohin auf einen Kreuzzug auszieht, dann sitze ich hier fest und muß mich um den Laden kümmern, bis er wieder da ist. Und das kann ein paar Jahrhunderte dauern. Und dann muß ich versuchen, dieses ganze Irrenhaus hier zu verwalten. Als sein Vizekönig, verstehst du? Als Regent, während er weg ist. Du glaubst doch nicht, daß ich darauf scharf bin? Brasil steckt bis unter die Dachkammern voll von verrückten Militärs, von denen die meisten unterbelichtete Kotzbrocken sind, die mich am liebsten abmurksen möchten, oder dich, oder sich gegenseitig, und wenn die nicht schon genug Ärger bedeuten, dann gibt es da noch alle diese Zauberer, die die Luft mit ihren Anrufungen blau verfärben, und eine ganze Menge von denen sind leider ziemlich wirksame Beschwörungen. Ich würde hier den Verstand verlieren, wenn Simon nicht da ist, um seine Pranke auf allem zu halten.«
    »Wenn es dir eine so große Last ist, Regent in Brasil zu sein, König Herodes, könntest du doch leicht mit uns auf die Suche nach Uruk gehen.«
    »Na, wunderbar! Was für eine Alternative! Hundert Jahre lang Tag und Nacht durch eine gottverlassene Wildnis zu marschieren und einen Ort zu suchen, den es gar nicht gibt!« Herodes schüttelte den Kopf. »Meschuggene, das ist es, was ihr alle seid. Aber ich bin bei klarem Verstand.«
    »Und falls es Uruk doch gibt?«
    »Und falls es es nicht gibt?«
    Gilgamesch spürte, wie ihm der Rest seiner Geduld zu entgleiten drohte. »Ja, dann zieh doch an einen anderen Ort! Du brauchst doch nicht in Brasil zu bleiben. Besorg dir ein Landhäuschen in Nova Roma, oder laß dich von einem der Fürsten im Outback aufnehmen. Du könntest dich bei den Israelis niederlassen, beispielsweise. Die sind doch auch Juden wie du, oder?«
    »Juden, ja«, sagte Herodes verdrießlich. »Aber nicht meinesgleichen. Ich verstehe sie ganz und gar nicht. Nein, Gilgamesch, all das will ich nicht. Mir gefällt es hier. Brasil ist mein Zuhause. Ich habe mich hier ganz hübsch eingerichtet, habe eine angenehme bequeme Position, und ich habe kein Verlangen danach, irgendwo anders zu leben. Aber wenn Simon…«
    Auf einmal bebte der Boden unter ihren Füßen, als brächen Ungeheuer durch die Mosaikböden in Simons Palast.
    »Was ist denn das?« fragte Gilgamesch.
    »Der Vesuv!« rief Herodes. Er fuhr zum Fenster herum und starrte in die Dämmerung hinaus. Wieder wankte der Boden, heftiger als zuvor, und dann erklang ein schreckliches Grollen. Gilgamesch schob den Kleinen beiseite und beugte sich aus dem Fenster. Ein roter Flammenspeer durchschnitt sinnverwirrend die Dunkelheit. Und dann ein erneutes Brüllen und noch eins und noch eins, zornig wie das Röhren eines gewaltigen Tiers, das ausbrechen will. Vom Rand des mächtigen Vulkans in der Mitte der Inselstadt stürzten Bäche brodelnder Lava herab, Schauer von Bimsstein hagelten nieder, erstickende dicke schwarze Rauchwolken wälzten sich herab, und durch all dies hindurch stach diese scharlachrote Feuerlanze höher und immer höher hinauf. Und so furchtlos Gilgamesch war, er mußte den instinktiven Wunsch unterdrücken, fortzulaufen und sich zu verkriechen.
    Verkriechen? Aber wo? Hier an den Abhängen des gräßlichen Feuerberges gab es nirgends Sicherheit und Schutz.
    »Laß mich mal sehen!« Herodes zerrte an Gilgameschs Arm. Er keuchte. Das Gesicht war von Schweißbächen überströmt. Er zwängte sich an Gilgameschs Ellbogen vorbei und streckte den Kopf vor, um besser sehen zu können. Wieder erbebte der Boden unter ihren Füßen. »Grandios!« flüsterte Herodes. »Unglaublich! Der beste Ausbruch, den es je gab!« In seiner Stimme schwangen gleichermaßen Furcht und Ehrfurcht mit. Langsam begann Gilgamesch zu begreifen, daß dieser besondere Vulkanausbruch Herodes einen außerordentlichen Lustgewinn bereitete. Er sah völlig umgewandelt aus. Seine Augen glühten und funkelten, ja es war, als pulsierten in ihm eine Art sexueller Erregung. Er war beinahe außer sich vor Wonne. »Zweimal in zwei Nächten! Es ist phantastisch! Grandios! Begreifst du, warum ich nie von hier fortgehen möchte, Gilgamesch? Ich könnte es nicht! Du mußt es Simon ausreden, diesen Kreuzzug und die Suche nach Uruk. Ich flehe dich an!«
    Im trübroten Licht der umwölkten Sonne zog Gilgamesch am Tag danach durch die Straßen von Brasil. Bei Enlil, hatte es in der Welt jemals solch eine Stadt gegeben? Hexerei und Teufelswerk an allen Ecken und Enden!
    Straßen, die sich in engen Spiralen wieder in sich

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