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Das Land der lebenden Toten

Das Land der lebenden Toten

Titel: Das Land der lebenden Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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und Bekümmernis schossen ihm durch den Leib. Aber ob er um Enkidu trauerte – oder um sich selbst, das hätte er nicht sagen können.
     
     
    »So bald schon?« fragte Simon. »Wozu deine Eile? Wir benötigen Zeit, um alles richtig zu planen.«
    »Ich gedenke, in spätestens fünf Tagen, oder eher, nach Uruk aufzubrechen«, sagte Gilgamesch. »Du magst mit mir ziehen oder nicht, wie es dir gefällt. Ich habe meinen Bogen. Ich habe meinen Hund. Ich bin es durchaus gewohnt, allein durch die Wildnis zu ziehen.«
    Simon wirkte verwundert. »Noch vor ein, zwei Tagen hatte ich den Eindruck, es sei höchst zweifelhaft, ob du überhaupt nach Uruk ziehen willst. Es sah nicht einmal so aus, als glaubtest du daran, daß es diese Stadt gibt. Und nun – nun kannst du es kaum erwarten aufzubrechen. Was hat dich denn so plötzlich umgestimmt?«
    »Spielt das eine Rolle?« fragte Gilgamesch.
    »Es ist wegen deinem Freund, wegen Enkidu, ja? Irgendeiner von unseren Zauberern hat dir geweissagt, daß er in Uruk auf dich wartet. Habe ich recht?«
    »Enkidu ist tot.«
    »Aber seine Wiedererweckung findet in Uruk statt. Und bis du dort ankommst, ist er dort und wartet auf dich? Richtig?«
    »Es könnte so sein.«
    »Dann besteht kein Grund zur Eile. Er wird dort warten, bis du kommst. Wann immer das sein mag. Entspanne dich, Gilgamesch. Wir wollen die Sache doch anständig organisieren. Mit ausgesuchten Männern, vernünftiger Ausrüstung, die Landrover müssen gründlich durchgecheckt werden…«
    »Dann mach du das alles, bitte. Ich habe nicht vor, hier länger herumzuwarten.«
    Simon seufzte. »Hast. Überstürzung. Einfach lospreschen, ohne es vorher einen Moment lang zu durchdenken! Das ist nicht meine Art. Und ich hätte es auch nicht von dir gedacht. Ich glaubte, du bist anders als alle die übrigen hirnlosen Helden.«
    »Das glaubte ich auch«, entgegnete Gilgamesch.
    »Zehn Tage?« sagte Simon.
    »Fünf!«
    »Hab Erbarmen, Gilgamesch! Frühestens in acht Tagen. Ich habe hier Verpflichtungen. Ich muß einen Geschäftsplan für meinen Vizekönig aufstellen. Und es gibt Erlasse zu unterzeichnen. Requirierungen anzuordnen…«
    »Also gut, acht Tage«, sagte Gilgamesch. »Keine neun!«
    »Acht Tage«, sagte Simon.
    Gilgamesch nickte und ging. An der Tür im Vorzimmer kauerte Herodes, der wahrscheinlich gelauscht hatte. Nein, der ziemlich sicher gelauscht hatte. Er hob den Blick, schaute aber Gilgamesch nicht in die Augen. Seit ihrem letzten Besuch in Calandolas Höhle war Herodes zurückhaltender geworden, scheu, in sich gekehrt, als könne er die Erinnerung an das erschreckende Ritual nicht ertragen, in das er Gilgamesch verführt hatte.
    »Du hast es gehört?« fragte Gilgamesch.
    »Was gehört?«
    »In acht Tagen brechen wir nach Uruk auf, Simon und ich.«
    »Ja. Ich weiß.«
    »Und du wirst Vizekönig, glaube ich. Das tut mir leid für dich.«
    »Nicht nötig.«
    »Aber du wolltest doch das nicht.«
    »Nein, ich wollte nicht Vizekönig werden. Aber das werde ich auch gar nicht. Es gibt also kein Problem.«
    »Ja, wenn nicht du, wer denn dann?«
    Herodes zuckte die Achseln. »Ich habe keine Ahnung. Von mir aus Calandola.« Zögernd streckte er die Hand nach Gilgamesch aus, unsicher, berührte ihn beinahe am Arm. »Laß mich mit dir gehen!« sagte er hastig.
    »Was?«
    »Nach Uruk. Ich kann nicht länger hier bleiben. Ich gehe mit dir. Überallhin.«
    »Sprichst du im Ernst?«
    »Es ist mir so ernst wie noch nichts in meinem Leben.«
    Gilgamesch betrachtete den kleinen Mann eindringlich und lange. Ja, er schien es wirklich ehrlich zu meinen. War anscheinend ehrlich willens, die Annehmlichkeiten und schalen Gruselschauder in Brasil aufzugeben, um auf gut Glück durch das Hinterland der Nachwelt zu streifen? Doch, ja, er schien es wirklich und wahrhaftig zu wünschen. Vielleicht hatte ihn das Erlebnis in der Höhle tief unter der Stadt verändert. Es war ja auch schwer vorstellbar, daß einer so etwas mitmachte und unverändert daraus hervorging. Doch vielleicht lag die Wahrheit ganz woanders, und der klägliche kleine Herodes hatte sich bloß wieder in eine neue Klammerbindung verstiegen, die er nicht durchbrechen konnte.
    »Nimm mich mit dir«, sagte Herodes noch einmal.
    »Es wird eine anstrengende Tour, Herodes. Du hast dich hier an ein leichtes bequemes Leben gewöhnt.«
    »Ich kann mich auch an etwas anderes gewöhnen. Laß mich mit dir gehen.«
    »Ich halte das nicht für gut.«
    »Du brauchst mich,

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