Das Land der MacKenzies
Bescheid, und man sah nichts Ungewöhnliches darin. Kleinstädte waren wie große Familien. Da Mary bereits Bekanntschaft mit dieser Direktheit gemacht hatte, verblüffte sie auch Sharons offene Neugier nicht.
„Die Schulbehörde. Ich brauchte ein paar Informationen zu Lehranforderungen."
Sharon sah alarmiert aus. „Meinst du, du hast keine ausreichende Qualifikation? Die gesamte Schulverwaltung wird Selbstmord begehen! Du ahnst ja nicht, wie schwer es ist, jemanden in eine kleine Stadt wie Ruth zu holen. Die waren ja schon in Panik aufgelöst, als sie dich endlich fanden. Sonst müssen die Kinder in die nächste Stadt zur Schule gehen, und die liegt sechzig Meilen entfernt."
„Nein, das ist es nicht. Ich dachte mir, ich könnte vielleicht Privatunterricht geben, falls eines der Kinder Nachhilfe nötig hat." Von Joe Mackenzie sagte sie nichts, die Warnung der beiden Mackenzies klang ihr noch in den Ohren.
„Dem Himmel sei Dank, dass es keine schlechten Nachrichten gibt!“, rief Sharon aus. „Jetzt mache ich mich besser auf den Weg zurück zu den Kindern, bevor sie noch irgendetwas anstellen.“ Mit einem Lächeln und einem Winken verabschiedete sie sich. Ihre Neugier war befriedigt.
Mary hoffte, Sharon würde nichts gegenüber Dottie Lancaster erwähnen, die die Klassen fünf bis acht leitete. Doch sie wusste auch, wie gering die Chancen dafür standen. In Ruth wurde alles irgendwann bekannt. Sharon ging warmherzig und geduldig mit ihren jungen Zöglingen um, und auch Mary bevorzugte als Lehrerin einen eher lockeren Lehrstil, aber Dottie war streng und brüsk gegenüber ihren Schülern. Für Dottie war das Lehramt ein Job - notwendig, aber nicht unbedingt erfreulich. Mary hatte schon Gerüchte gehört, dass Dottie daran dachte, in Frührente zu gehen, was die Schulverwaltung, trotz Dotties Mängeln, in arge Bedrängnis bringen könnte. Wie Sharon schon angedeutet hatte, war es schwierig, Lehrpersonal für Ruth zu finden. Das Städtchen war einfach zu klein und zu abgelegen.
Als sie die letzte Stunde unterrichtete, ertappte Mary sich dabei, wie sie die jungen Mädchen heimlich musterte und sich fragte, welche von ihnen mit Joe Mackenzie geflirtet und sich zurückgezogen hatte, als er um eine Verabredung gebeten hatte. Mehrere von den Mädchen waren attraktiv und kess genug, und auch wenn sie die typische alberne Art von Teenagern an den Tag legten, so waren sie doch alle nett. Welche von ihnen hatte wohl Joes Interesse erweckt? Natalie Ulrich, die groß war und sich so graziös bewegte? Pamela Hearst, die vom Aussehen her eigentlich an einen kalifornischen Strand gehörte? Oder vielleicht Jackie Baugh mit den dunklen, verhangenen Augen? Es könnte jede von den acht Mädchen in der Klasse sein. Sie waren daran gewöhnt, hofiert zu werden, vor allem auch deshalb, weil sie in der Unterzahl gegenüber den Jungen waren. Und alle waren recht kess. Welche also war es?
Mary sagte sich, dass es unerheblich sei, doch das war es nicht. Eins von diesen Mädchen hatte, auch wenn sie ihm nicht das Herz gebrochen hatte, Joe einen Schlag versetzt, der sehr leicht lebenslange Konsequenzen haben könnte. Für Joe war es der endgültige Beweis, dass er nicht in die Welt der Weißen gehörte. Er hatte sich zurückgezogen. Vielleicht würde er nicht in die Schule zurückkommen, aber immerhin hatte er dem Privatunterricht zugestimmt. Er sollte nicht die Hoffnung verlieren.
Als die Schulstunden beendet waren, sammelte Mary hastig ihre Materialien und die Arbeiten zusammen, die sie noch benoten musste, und eilte zu ihrem Wagen. Bis zum Kaufhaus Hearst war es nur eine kurze Fahrt, und Mr. Hearst zeigte ihr auf ihre Frage hin freundlich die Kartons mit den Selbstbauregalen in einer Ecke des Ladens.
Wenig später öffnete sich die Tür zum Laden erneut für einen Kunden. Mary erblickte Wolf, sobald er den Verkaufsraum betrat. Sie beschaute sich die Regale genauestens. Doch sie konnte seine Anwesenheit nicht ignorieren. Ihre Nervenenden begannen zu prickeln, die Härchen an ihrem Nacken richteten sich auf, Mary schaute hoch ... und da stand er. Sie erschauerte jäh, und sofort schoss ihr das Blut ins Gesicht.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Mr. Hearst sich plötzlich versteifte, und zum ersten Mal glaubte sie die Dinge, die Wolf ihr erzählt hatte. Wolf tat nichts, sagte kein Wort, aber es war klar, dass Mr. Hearst den Mann nicht in seinem Geschäft haben wollte.
Hastig wandte Mary sich wieder den Regalen zu. Sie konnte Wolf
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