Das Land der MacKenzies
erwachsenen Blick an. „’tschuldigung, ich wollte nicht indiskret werden. Sagen wir einfach, ich finde sie attraktiv. Aber ich kann es mir nicht leisten, dieser Anziehungskraft nachzugeben. Pam ist ein nettes Mädchen, aber sie passt nicht in meine Pläne.“
Sie verstand, was er sagen wollte. Keine Frau passte in seine Pläne, wahrscheinlich für eine lange Zeit, falls überhaupt jemals. Joe war ein Einzelgänger wie Wolf. Bei Joe kam noch hinzu, dass er den größten Teil seines Wesens dem Fliegen verschrieben hatte. Pamela Hearst würde einen netten Mann aus der Gegend heiraten, mit ihm in Ruth oder in der Nähe eine Familie gründen und das gleiche beschauliche Leben führen, in dem sie auch großgeworden war. Sie war nicht geschaffen für die kurzfristige Aufmerksamkeit, die Joe Mackenzie ihr geben konnte, bevor er weiterzog.
„Haben Sie eigentlich eine Vermutung, wer dieses geschmacklose Gerücht in die Welt gesetzt hat?“, fragte Joe jetzt. Sein Blick wurde hart. Ihm gefiel es nicht, dass irgendjemand seiner Lehrerin Schaden zufügen wollte.
„Nein.“ Sie wusste sofort, worauf er anspielte. „Es hätte jeder sein können, der zufällig vorbeigefahren ist und dein Auto gesehen hat. Aber der Trubel hat sich ja gelegt, die meisten scheinen es schon wieder vergessen zu haben, bis auf ...“ Sie stockte mit nachdenklicher Miene.
„Bis auf wen?“, hakte Joe nach.
„Nein, sie hat sicher keinen solchen Unsinn verbreitet“, bestritt Mary hastig. „Ich werde einfach nur nicht warm mit ihr und weiß nicht, warum. Vielleicht ist sie ja immer so. Hat Dottie Lancaster eigentlich ...“
„Dottie Lancaster!“ Joe lachte freudlos auf. „Das wäre denkbar. Sie hat ein ziemlich schweres Leben hinter sich, und irgendwie tut sie mir leid, aber sie hat wirklich alles darangesetzt, mir meine Schulzeit zur Hölle zu machen.“
„Ein schweres Leben? Wieso?“
„Ihr Mann war Fernfahrer. Vor ein paar Jahren wurde er von einem betrunkenen Fahrer von der Straße abgedrängt, in Colorado. Er stürzte mit seinem Truck den Abhang hinunter und starb, da war ihr Sohn noch ein Baby. Der betrunkene Fahrer war Indianer. Darüber ist Dottie wohl nie hinweggekommen.“
„Das macht doch keinen Sinn.“
Joe zuckte die Schultern, so als würden viele Dinge auf der Welt keinen Sinn machen. „Auf jeden Fall ... sie blieb allein mit dem Kleinen zurück. Muss wohl ziemlich schwierig gewesen sein, viel Geld hatte sie auch nicht. Sie begann zu unterrichten, aber dann musste sie ja jemanden bezahlen, der so lange auf den Kleinen aufpasste. Und als der Junge in die Schule kam, brauchte er zusätzlich speziellen Unterricht, und das kostete noch mehr Geld.“
„Ich wusste gar nicht, dass Dottie Kinder hat“, meinte Mary und blickte Joe verwundert an.
„Nur Robert ... Bobby. Er muss jetzt ungefähr drei-oder vierundzwanzig sein, er lebt noch zu Hause. Und er geht nicht gern unter Leute.“
„Was stimmt denn nicht mit ihm? Ist er behindert?“ „Nein, behindert nicht. Bobby ist einfach anders. Er mag Menschen, aber nicht zu viele auf einmal. Gruppen machen ihn nervös, deshalb bleibt er lieber für sich. Er liest viel oder hört Musik. Einmal hatte er einen Ferienjob bei Mr. Watkins im Baumarkt. Mr. Watkins sagte ihm, er solle die Schubkarre mit Sand vollschaufeln und wegfahren. Aber anstatt die Karre vor den Sandhügel zu stellen, ist Bobby mit jeder einzelnen Schippe Sand zur Schubkarre gelaufen. Solche Sachen eben. Er hat Schwierigkeiten beim Anziehen, weil er zuerst die Schuhe anzieht und dann die Füße nicht durch die Hosenbeine bekommt.“
Mary kannte solche Fälle. Diese Menschen hatten Probleme, sich im Alltag zurechtzufinden. Nur mit Geduld und speziell zugeschnittenem Training ließ sich eine solche Lernschwäche beheben. Dottie tat Mary leid, sie konnte es wahrlich nicht leichthaben.
Joe schob seinen Stuhl zurück und streckte sich. „Reiten Sie?“, fragte er unvermittelt.
„Nein. Ich habe mein Lebtag noch nicht auf einem Pferd gesessen.“ Sie kicherte. „Wirft man mich jetzt deshalb aus Wyoming hinaus?“
„Könnte durchaus passieren“, antwortete Joe gespielt ernst. „Warum kommen Sie nicht mal samstags hinauf auf den Berg? Ich kann Ihnen Reitstunden geben. Wenn die Sommerferien anfangen, werden Sie viel Zeit zum Üben haben."
Er konnte nicht ahnen, wie verlockend die Idee für Mary war. Nicht nur das Reiten, sondern auch dass sie Wolf Wiedersehen würde. Nur, ihn zu sehen wäre ebenso qualvoll, wie
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