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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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offiziell machten, waren Letztere kaum mehr wert als das Papier, auf dem sie standen. Es war niemand da, der die Vereinbarungen der Leute beglaubigen konnte, und Nick und seine Straßenschläger nahmen das Gesetz selbst in die Hand. Daher konnte es nicht verwundern, dass sich immer mehr Menschen in den Tempel flüchteten.
    »Wir müssen weitermachen, Rita«, sagte Theo bestimmt.
    »Nein, das müssen wir nicht«, widersprach ihm Verity. »Ihre Krankheiten können wir vielleicht noch behandeln, aber ernähren können wir sie nicht. Wir haben nicht einmal genug für uns selbst. Wir haben diese Revolution nicht gewollt; sie ist weder in unserem Namen noch dem von Lily entbrannt. Sie hatte nichts mit dem Tempel zu tun. Warum sollten wir …?« Ihre ganze Energie schien verpufft, und Verity verstummte. »Warum müssen wir immerzu kämpfen?«
    Mark starrte sie an. Er wollte etwas entgegnen, war aber zu müde und verwirrt, um auf eine passende Antwort zu kommen.
    Der Doktor nahm Veritys Hände. »Weil sie sich an uns wenden«, sagte Theo voller Überzeugung. »Und weil dieser Tempel, dieses Almosenhaus, das Einzige ist, was ihnen Kraft gibt. Und Anführer, ganz gleich ob es ihnen gefällt oder nicht, müssen versuchen zu führen. Andernfalls ist jeder einzelne Mensch, den wir verlieren, durch unsere Schuld verloren.«
    Verity nickte stumm, und Mark stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Er dankte den Sternen dafür, dass Theo hier war. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte es sich fast friedlich an.
    Da schlug die Tür auf, und die Stimmung kippte. Mark wandte sich um.
    Ben stand im Türrahmen. Sie war erregt und atmete schnell, so als sei sie gerannt.
    »Ben! Was hast du …?«, begann Theo, doch Benedicta schüttelte den Kopf.
    »Keine Zeit. Sie sind wahrscheinlich schon da.« Keuchend bemühte sie sich, wieder zu Atem zu kommen. »Es sind Nick und seine Revolutionäre. Ich habe versucht, so schnell wie möglich hierher zurückzukehren, aber …«
    »Ganz ruhig«, sagte Theo und schob einen Stapel Decken von einer der Bankreihen. »Kommen sie hierher? Doch sicher nicht, wir haben schließlich viele von ihren Leuten behandelt.«
    »Nein, das ist es nicht«, keuchte Ben. »Sie bereiten einen neuen Angriff vor. Ich habe es von einem ihrer Leute gehört. Und sie haben bereits losgeschlagen. Wir kommen vielleicht schon zu spät …«
    »Was sagst du da?«, fragte Mark alarmiert. »Du meinst, wir sollten versuchen sie aufzuhalten? Die Eintreiber können auf sich selbst achtgeben. Es sind doch höchstens einhundert Leute …«
    Er stutzte. Ben wusste das alles; sie war nicht dumm. Warum also war sie zurückgekehrt, um ihn zu warnen? Sie schaute ihm direkt in die Augen.
    »Es ist das Gefängnis, Mark. Sie greifen das Gefängnis an. Sie wollen alle Gefangenen befreien. Das heißt, dass ihnen die Wärter im Weg stehen.«
    Mark erstarrte. »Dad …«, keuchte er. Dann griff er nach seiner Jacke.
    »Mark, denk doch mal nach«, sagte Verity, bemüht, ihn aufzuhalten. »Du weißt doch gar nicht, ob dein Vater dort ist; du kannst dich nicht ganz allein einem wütenden Mob entgegenstellen …«
    »Lassen Sie ihn gehen, Rita«, sagte Theo sanft. Er berührte Marks Arm. »Beeil dich. Ich bleibe hier und passe auf unsere Schützlinge auf. Jemand muss sich um die kümmern, die zurückbleiben.«
    Dankbar nickte Mark und wandte sich dann Ben zu.
    »Gehen wir.«
    Sie rochen schon, dass es irgendwo brannte, noch bevor sie die Feuer zu Gesicht bekamen. Der Rauch stieg in Spiralen zum heißen, trockenen Himmel auf. Mark, dem bereits beim Laufen der Schweiß ausgebrochen war, spürte die Hitze, als sie sich dem Gefängnis näherten.
    »Das Gefängnis liegt direkt neben der Kaserne der Eintreiber; das ist Wahnsinn«, rief Mark, während sie weiterrannten.
    »Die Eintreiber befinden sich überall in der Stadt – die Kaserne ist mehr oder weniger verwaist!«, erwiderte Ben, während sie beide um eine Kurve bogen. »Deshalb schlagen sie jetzt zu.«
    Mark stöhnte auf. Seit seiner Rückkehr hatte er seinen Vater nicht mehr gesehen, da sie sich auf unterschiedlichen Seiten der Barrikade befanden. Immerhin war es ihnen gelungen, eine Reihe von Briefen hindurchzuschmuggeln. Mark hatte sich mit der Vorstellung beruhigt, für seinen Vater sei es auf der flussaufwärts gelegenen Seite der Stadt sicherer. Besonders sicher wirkte es in diesem Moment allerdings nicht. Die Barrikade war an einer Stelle zertrümmert worden, und die Straßen dahinter waren

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