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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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menschenleer. Es sah jedoch so aus, als seien hier viele Menschen vorbeigekommen, da man zahlreiche Fußabdrücke in dem trockenen Schlamm erkennen konnte. Hier und da spähte ein verängstigtes Gesicht aus einer Seitenstraße heraus, doch bevor sie zum Gefängnis selbst gelangten, sahen sie keine Spur von dem Mob.
    Allerdings hörten sie ihn, Sekunde für Sekunde lauter werdend – wütendes, hundertfach verstärktes Gebrüll. Dieses Geräusch hatte Mark schon einmal gehört, nämlich in einem Dorf in Giseth, wo der Zorn vieler Jahre ausgebrochen war. Er hatte gehofft, dieses Geräusch nie wieder zu vernehmen.
    Als Ben und er die Menschen zu sehen bekamen, lauter als sie es sich hätten vorstellen können, brannte ihnen der Qualm in den Augen. Es sah so aus, als hätten die Randalierer die Türen angesteckt. Die wenigen Eintreiber, die noch bei Bewusstsein waren, drängten sich zusammen, bewacht von einer Gruppe Schläger.
    Mark schenkte ihnen kaum einen Blick, sondern schaute wie gebannt auf das Schafott.
    Eine Schlinge baumelte in der Brise. Daneben stand Nick auf einer neu errichteten hölzernen Plattform, das andere Ende des Seils in der Hand haltend. Und neben ihm stand Pete.
    Mark stürzte vor, prallte aber gegen die Rücken der Menschen wie gegen eine Wand. Er versuchte sich mit beiden Händen einen Weg durch die Menge zu bahnen, doch die Menschen standen dichtgedrängt beieinander und stießen ihn einfach zurück. Mark fiel auf den Rücken, worauf Benedicta ihn packte, um ihm wieder auf die Beine zu helfen.
    »Lass mich los!«, rief er, in dem Gebrüll der Menge kaum zu vernehmen. »Das da oben ist mein Dad!«
    »Psst …«, machte Benedicta, der die Erleichterung ins Gesicht geschrieben stand. »Es ist nicht das, was wir befürchtet hatten. Schau noch einmal hin.«
    Mark starrte hinauf.
    Sie hatte recht. Es war nicht ganz so schlimm, wie es ausgesehen hatte. Sicher, sein Vater stand dort oben, gemeinsam mit ein oder zwei anderen Wärtern. Doch sie standen nicht dort, um hingerichtet zu werden. Sie eskortierten einen der Gefangenen, einen schmächtigen, schmutzigen Mann, dem man einen Sack über den Kopf gezogen hatte. Vor den Augen der Zuschauer legte Nick ihm die Schlinge um den Hals und stellte ihn auf ein Fass. Mark sah, dass sein Vater die Augen schloss. Das Geschrei der Menge erreichte seinen Siedepunkt.
    Das Fass wurde umgetreten. Der Gefangene strampelte ein paarmal mit den Füßen. Dann hing er still.
    Angewidert wandte Mark sich ab, während der Mob vor Freude aufheulte.
    »Gib der Bestie zu fressen«, flüsterte eine Stimme in seiner Nähe.
    Mark wandte sich zu ihm um und blickte hinab.
    Er brauchte einen Moment, bis er den neben sich kauernden Mann wiedererkannte. Er war ausgemergelt und zerlumpt, trug den abgerissenen Mantel eines einst reichen Gefangenen. Seine verwelkte alte Haut war früher einmal straff und rosig gewesen. Und Mark erkannte den Geruch von verfaulenden Blumen. Selbst im Gefängnis hatte er dieses Öl weiter verwendet.
    »Ghast?«, sagte er verblüfft. Seinem damaligen Mitgefangenen, dem ehemaligen Anwalt mit finsteren Ambitionen, war das Gefängnis nicht gut bekommen. Als Mark vor beinahe zwei Jahren ihre Zelle verlassen hatte, hatte Ghast bereits den Verstand verloren. Seitdem war es offenbar noch schlimmer geworden. Er kroch auf dem Boden herum und starrte mit eingefallenen Augen zu Mark empor.
    »Sie sind gekommen, um uns zu befreien«, sagte er grinsend. Seine Zähne waren auch nach all dieser Zeit noch gut und standen im Gegensatz zu seiner sonstigen Erscheinung. »Frei! Wie könnte ich frei sein? Der Schatten erwischt mich an jeder Ecke. Sie hat er auch erwischt, sie alle. Der Schatten ist immer einen Schritt voraus.«
    Mark lief ein Schauer über den Rücken. »Der Schatten« war der Name, den Ghast Snutworth gegeben hatte. Jeder wusste, dass er mittlerweile Direktor war, doch niemand hatte eine Ahnung, was er mit den Revolutionären vorhatte – und die Eintreiber würden es wohl kaum verraten. Was immer es jedoch war, Mark konnte sich nicht vorstellen, dass es sein Plan gewesen war, das Gefängnis stürmen zu lassen.
    Ghast stieß ihm mit einem knochigen Finger in die Rippen. »Du solltest dich freuen, kleiner Stern«, nuschelte er. »Die Bestie hat deinen Feind gefressen. Dieser Blaumantelwächter mit dem vergifteten Geist … wie hieß er noch gleich?« Ghast schüttelte den Kopf. »Er hat alles überschattet, hat gesagt, die ganze Welt wäre eine Lüge, wäre der

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