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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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verwickelt, als dass sie sich näher mit dem Dampfer beschäftigt hätten. Allerdings standen in der Nähe nach wie vor Schaulustige.
    Auf Deck war kein Mensch zu sehen, doch als Lily näher kam, entdeckte sie einen Fetzen aus grünem Tuch, welches an der Reling befestigt war. Daraufhin verdoppelte sie ihre Geschwindigkeit – dies war Owains Zeichen, dass er hier Zuflucht genommen hatte.
    Zwei große, mürrisch wirkende Männer hielten Wache, bedeuteten Lily und Mark jedoch stumm, sie könnten an Bord gehen. Lily sprang auf den Steg und öffnete die Tür zum Laderaum, während Mark den Kesselraum durchsuchte.
    »Owain? Elespeth?«, rief sie laut. In der Dunkelheit regte sich jemand. Sie erkannte die grobe Kleidung der Gisethi und trat ein wenig näher. »Seid ihr hier?«, fragte sie.
    Als sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnten, erkannte sie einen Mann, der in der Ecke des Laderaums saß. Er hatte den Kopf gesenkt und die Knie bis ans Kinn hochgezogen. Hier stimmte etwas nicht. So hatte sie Owain noch nie gesehen, nicht einmal damals, als ihn sein ganzes Dorf hatte umbringen wollen. Er wirkte niedergeschlagen, bezwungen.
    »Owain?«, sagte sie, nun leiser, da ihre gute Laune verpuffte. »Owain, was ist denn? Was hast du?«
    Er blickte auf.
    Es war nicht Owain. Er sah zwar genauso aus wie er, doch sein Gesicht war anders – leer, ausdruckslos. Er starrte Lily vollkommen desinteressiert an.
    Lily trat einen Schritt zurück. »Wer sind …«
    Die Hand einer Frau drückte sich auf Lilys Nase und Mund. Sie hielt ein Tuch, das in etwas getränkt war, das schwer und süßlich roch. Ihr wurde schwindlig.
    »Sie, Miss Lilith, haben eine Verabredung mit dem Direktor«, sagte eine strenge weibliche Stimme.
    Lily wurde schwarz vor Augen.

KAPITEL 23
    Die Verabredung
    Marks erster Fehler bestand darin, die Augen zu öffnen.
    Nicht, dass ihm von dem, was er hatte inhalieren müssen, noch die Augen gebrannt hätten. Es war auch nicht so, als wäre das Licht, das ihn beleuchtete, unangenehm hell.
    Aber als er sie öffnete, war das Erste, was er erblickte, das Gesicht von Vater Wolfram.
    Er fuhr unwillkürlich hoch und spürte, wie sich Lederriemen in seine Arme schnitten. Wolfram hielt ihm eine Laterne dicht vor die Nase. Mark sah nichts außer seinem harten, gleichgültigen Gesicht, dessen Falten sich in dem grellen Licht überdeutlich abzeichneten. Mark wollte den Kopf abwenden, doch etwas fixierte ihn an Ort und Stelle. Auch seine Beine waren gefesselt. Er war gefangen und saß mit dem Kopf nach hinten völlig schutzlos da.
    Wolfram schüttelte den Kopf. »Immer gegen das übergeordnete Wohl ankämpfend«, knurrte er mit Abscheu in der Stimme. »Ganz gleich, wie oft ich versucht habe, dein Wesen zu ändern, Mark, du bist ein verdrehter Schössling und hättest einen schiefen Baum abgegeben.«
    Wie sich »hättest« anhörte, gefiel Mark überhaupt nicht. Er wollte etwas sagen, doch seine Zunge hing nutzlos heraus, und ihm drang lediglich ein Stöhnen über die Lippen.
    »Versuch gar nicht erst zu reden«, murmelte Wolfram. »Noch nicht. Die Tinktur wird bald ihre Wirkung verlieren. Aber für den Moment musst du dich in der Tugend des Schweigens üben.«
    Wolfram zog sich zurück, die Laterne mit sich nehmend. Hätte Mark sprechen können, dann hätte er angemerkt, dass Wolframs eigenes Schweigegelübde offenbar schon Geschichte war. Doch vielleicht war es in diesem Fall besser so, dass er es nicht konnte. Je mehr er von dem Raum wahrnahm, desto mehr verlor er den Mut.
    Es war kein großer Raum, aber die Steine in der Wand waren massiv vermauert, so als wären sie Teil eines wesentlich größeren Gebäudes. Da er den Kopf nicht bewegen konnte, sah er lediglich diese roh gehauene Wand und ganz zu seiner Linken den Rand eines von Einstellrädern und Schläuchen überzogenen Apparats. Er kam ihm seltsam bekannt vor, doch er konnte ihn nicht einordnen.
    Wolfram verschwand hinter ihm und mit ihm das Licht. Mark schaute nach unten, nach wie vor nicht imstande, irgendetwas außer seinen Augen zu bewegen. Da sein Kopf nach hinten geneigt war, konnte er seine Arme kaum sehen, doch die Riemen darauf fühlten sich dick und fest an.
    Zu seiner Rechten war ein leises Geräusch zu vernehmen. Mark spannte sich an. Nun, da das Licht ihn nicht länger blendete, konnte er aus dem Augenwinkel heraus einen Stuhl erkennen, auf dem ebenfalls jemand gefesselt saß und gerade zu sich kam.
    »Wa… wa… was?«, erklang eine sehr bekannte Stimme.
    Mark

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