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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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Inspektorin Poleyn weiß niemand, dass Sie hier sind. Es gibt keine mitfühlenden Wachen, die sich wegen Ihrer Jugend erbarmen werden, keine revolutionären Helfer, die sich hereinschleichen könnten. Selbst wenn Sie ausbrechen sollten, sind wir alles andere als hilflos, und ich kann Ihnen versichern, dass Vater Wolfram Sie nach dem von Ihnen verursachten Chaos in seinem Dorf als ruchlose Wesen betrachtet, welche die härteste Bestrafung verdienen.« Mit unbewegter Miene trat er näher an Mark heran. »Ich denke daher, es ist nur recht und billig, wenn ich sage, dass Sie sehr wenig in die Waagschale werfen können, um zu verhandeln. Sie haben eine Information, die ich benötige. Teilen Sie sie mit mir.«
    Mark machte den Mund auf, um ihn dann energisch und trotzig wieder zu schließen. Warum auch immer Snutworth diese Information benötigte, es konnte die Sache nur noch verschlimmern.
    Snutworth nickte nachdenklich. »Nun, in diesem Fall habe ich für Sie, Miss Lilith, eine gute Nachricht«, sagte er. »Ich werde Ihnen anhand einer praktischen Demonstration eine Ihrer Fragen beantworten. Wolfram, würden Sie bitte die Maske ausrichten?«
    Snutworth ging zu dem Apparat in der Ecke und begann damit, an den Einstellrädern zu drehen. Das sonderbare Summen verstärkte sich und mit ihm das Zischen von Luftströmen. Am Rande seines Sehfelds konnte Mark erkennen, dass Wolframs Hände über seinen Kopf langten, bis die langen roten Ärmel seiner Ordenstracht ihm alle Sicht versperrten. Erneut bekam er den Eindruck, dass sich über ihm etwas befand. Etwas, das glänzte wie Glas.
    »Was geht da vor?«, sagte Lily mit einem Anflug von Panik in der Stimme. »Ist das …«
    Wolfram ließ eine Maske aus Rauchglas auf Marks Kopf niedersinken. Mark spürte, wie sein Herz anfing zu rasen, und versuchte sich zu wehren, doch Wolfram packte seinen Kopf, drückte die Maske auf sein Gesicht und befestigte sie dann mit weiteren Riemen. Snutworth drehte sich um, auch wenn Mark ihn durch die dicke, durchsichtige Maske kaum mehr sehen konnte. Er wirkte jetzt noch mehr wie ein Schatten. Nur seine im Licht funkelnden Augen waren zu erkennen.
    »Ja, Miss Lilith«, sagte er mit nach wie vor aufreizender Gelassenheit. »Das ist ein Gefühlsextraktor.«
    Mark spürte, wie das Geräusch der brausenden Luft über ihm an Intensität zunahm, so als blase der Wind ihm durch Geist und Seele.
    »Was tun Sie da?«, rief Lily, doch ihre Stimme klang sehr weit weg.
    Als Snutworth hingegen sprach, durchschnitt seine Stimme Marks Verwirrung wie ein Messer. »Miss Devine und ich waren zur gleichen Zeit Lehrlinge. Unser Herr war Alchimist von Beruf und ein wahres Genie. Er hat den ersten Gefühlsextraktor erfunden, eine außerordentliche Leistung. Die meisten seiner Nachahmer, sei es in den übelsten Spelunken in den Elendsvierteln, sei es in den edelsten Salons der Oberen der Gesellschaft, hielten sich an die ursprüngliche Bauweise – eine vergleichsweise primitive Konstruktion. Aber Devine war die Beste. Sie hat eine Reihe von Verbesserungen vorgenommen, mit denen sie die Reinheit der extrahierten Gefühle erhöhte. Trotzdem hat sie nie erkannt, was damit noch möglich war. Als ich vor einigen Monaten eine Kopie ihres Apparats in Auftrag gab, begriff auch ich es nicht sofort.« Snutworth legte eine Pause ein, und Mark hörte, wie er an einem Einstellrad drehte. Der brausende Wind in seinem Kopf schoss nun durch seinen ganzen Körper. Es prickelte, und er zitterte, und dann, in einem jähen, grauenhaften Moment, begriff er, was Snutworth nun sagen würde.
    »Bei den meisten Gefühlsextraktoren ist es notwendig, dass die Personen es freiwillig tun.«
    Marks Körper fühlte sich plötzlich federleicht an, so als sickere etwas Kaltes in ihn ein.
    Dann loderten sämtliche Gefühle in ihm auf. Er wollte lachen, weinen, brüllen – doch sein Körper blieb stocksteif. Irgendwo, weit weg, hörte er Lily rufen.
    »Ich weiß es nicht!«, schrie sie. »Ich weiß nicht, wo sich der Abstieg befindet.«
    »Sagen Sie es mir, und ich werde aufhören.« Das war Snutworth; er klang so ruhig wie immer. Aber für Mark hörte sich diese Stimme nun nicht mehr rational an. In ihr schwangen tausend unterschiedliche Anspielungen und Andeutungen mit. Einen Moment lang gewann alle Zuversicht, die Mark jemals gehegt hatte, die Oberhand. Er hatte das Gefühl, als könne er sich mit einer einzigen ruckartigen Bewegung sämtlicher Riemen entledigen. Einen kurzen Augenblick durchschaute er

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