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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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reckte den Kopf vor, überzeugt davon, diese Stimme zu kennen. Hätte sie sie doch nur noch ein wenig länger hören können …
    Septima hörte auf zu singen. Fast im gleichen Moment verklang die Stimme, und das Licht in dem Kristall erlosch.
    »Natürlich bekommt man manchmal nur Unsinn zu hören«, sagte Septima unbekümmert, Lilys Enttäuschung offenbar nicht wahrnehmend. »Aber wenn man die richtigen Kristalle findet, kann man alles hören, was jemals in den Ländereien oben gesprochen wurde.«
    Lily staunte. Daheim in Agora hätte der Direktor sich nach einem solch mächtigen Werkzeug gesehnt, danach, jede jemals geführte Unterhaltung mithören zu können, jedes jemals ausgesprochene Wort. Das war außergewöhnlich und erstaunlich.
    Nein, erkannte sie dann. Es war erschreckend.
    » Alles? «, fragte sie entgeistert nach.
    Tertius kratzte sich lässig am Kinn. »Tja, bei vielen Kristallen sind die Echos natürlich viel zu schwach, als dass man etwas verstehen könnte«, sagte er. »Die besten befinden sich daheim im Mittelpunkt. Hier draußen hört man meist bloß kleine Fetzen von lohnendem Wissen.«
    »Wo wir von lohnendem Wissen sprechen«, schaltete sich Septima ein und drehte dem Kristall den Rücken zu. »Wir haben dir da gerade eine Menge Antworten gegeben, und ich kann mich nicht daran erinnern, dass du uns in letzter Zeit viele Fragen beantwortet hättest. Du solltest uns bald mal wieder etwas Neues erzählen, Wunder.« Sie runzelte die Stirn. »Wie dem auch sei, hier gibt es nichts mehr, was zu hören sich lohnen würde. Gehen wir.«
    Den Kristall, der sie kurz zuvor noch derart fasziniert hatte, vollkommen ignorierend marschierte Septima aus der Höhle hinaus und ließ Lily nur noch verwirrter zurück.
    Den Rest des Tages zeigten sich Tertius und Septima ungewöhnlich abweisend. Lily versuchte zwar mit ihnen ins Gespräch zu kommen, doch sie hatten ihr schon bald die banalen Fakten über Agora herausgepresst, und je mehr Zeit Lily mit ihnen verbrachte, desto weniger war sie geneigt, ihnen etwas Persönlicheres mitzuteilen. Und sobald sie aufhörte zu reden, schwand ihr Interesse.
    Noch drei Tage danach waren sie unfreundlich und mürrisch. Erst als sie am elften Tag aufwachten, sprach einer von ihnen aus, was nicht in Ordnung war.
    »Ich halte nicht mehr viel von diesem Wunder, Tertius«, verkündete Septima plötzlich beim Essen. »Sie hat uns schon eine Weile nichts Neues mehr erzählt. Warum sollten wir sie weiter durchfüttern?«
    Lily schluckte alarmiert, unsicher, ob sie erschreckt oder beleidigt sein sollte.
    Tertius lächelte geheimnisvoll. »Du brauchst Geduld. Wenn wir ihr Zeit geben, wird sie uns noch mehr offenbaren. Sie gehört zum Orchester, weißt du nicht mehr? Sie sind nicht wie wir.«
    »Ihr habt schon einmal von dem Orchester gesprochen«, sagte Lily, bedacht, das Thema zu wechseln. »Wer ist das?«
    Septima starrte sie zornig an. »Fragen, ständig Fragen, und nie gibst du uns irgendein Wissen, um damit zu bezahlen«, sagte sie finster und verdrehte dann die Augen. »Das Orchester! Du weißt schon … dort oben.« Sie deutete mit der Hand auf die Decke aus Fels. »Die Welt über uns. Das Orchester liefert die Musik, und der Chor« – sie wies auf sich selbst und Tertius – »singt das Lied. Das kannst du umsonst haben, das ist Allgemeinwissen.« Sie kicherte. »Du hast recht, sie ist ziemlich unmusikalisch.«
    Tertius gluckste. Danach bekam Lily eine Ewigkeit nichts Vernünftiges mehr aus ihnen heraus. Immer wenn sie sie anschauten, brachen sie in Gelächter aus.
    Am zwölften Tag beschloss Lily, ein Machtwort zu sprechen. »Wo gehen wir hin?«, fragte sie plötzlich.
    Tertius schaute sich zu ihr um, und auf seinem Gesicht lag ein erwartungsvoller Blick.
    Lily seufzte. »Also schön, du willst vorher ein wenig Wissen?« Sie holte Luft. »Das Dorf Aecer ist das Agora am nächsten gelegene Dorf von Giseth, und seine Anführerin, die Sprecherin Bethan, war die Geschichtenspinnerin des Dorfes. Darf ich jetzt eine Frage stellen?«
    Tertius zog eine Grimasse. »Was ist eine Geschichtenspinnerin?«
    Lily spürte, wie sie frustriert die Hände zu Fäusten ballte. »Eine Geschichtenspinnerin ist eine Mischung aus einer Lehrerin und einer Geschichtenerzählerin. Mehr bekommst du von mir nicht zu hören, wenn du mir nicht sagst, wohin wir gehen!«
    Tertius tauschte mit Septima Blicke aus und schob sich dann sein langes weißes Haar aus dem Gesicht.
    »Wir laufen weg«, sagte er, als wäre

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