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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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hatte sie es entdeckt.
    Die Kristalle flüsterten.
    Sie waren ganz leise, zu schwach, als dass man es hätte verstehen können, so wie das ferne Gemurmel der Kakophonie. Doch in der Stille, wenn das Geräusch sich erhob und wieder senkte wie eine Million weit entfernter Echos, konnte sie sie vernehmen.
    »Können wir nicht weitergehen?«, fragte sie gereizt, bemüht, ihr Unbehagen zu verbergen.
    Septima machte sich nicht einmal die Mühe, sie anzuschauen. »Erst wenn wir diesen hier untersucht haben«, erwiderte sie, während sie den eiförmigen Kristall, der im Lichtschein ihrer Lampe schwach pulsierte, nach wie vor eindringlich musterte.
    Lily trat von einem Bein aufs andere. Sie war davon überzeugt, erneut Flüstern aus diesem bernsteingelben Edelstein heraus zu vernehmen, doch vielleicht spielte ihr auch nur ihr Gehör einen Streich.
    »Was ist überhaupt so besonders an diesen Kristallen?«, fragte sie, nach wie vor bemüht, sich ihr Unbehagen nicht anmerken zu lassen.
    Septima drehte sich um. Auf ihrem Gesicht lag ein selbstgefälliger Ausdruck. »Sollen wir es ihr sagen?«, fragte sie Tertius.
    Dieser zuckte mit säuerlicher Miene die Achseln. »Ich werde es ihr zeigen. Dieser hier ist zwar schön anzuschauen, aber zu entstellt, um von Nutzen zu sein.«
    Septima kicherte verzückt. Sie genoss es offenkundig, mehr zu wissen als Lily. Die aber ging auf diese selbstgefällige Art nicht ein.
    »Du wolltest wissen, wieso wir so viele Informationen über die Welt dort oben wissen, obwohl wir sie nie gesehen haben?«, fragte Septima. »Komm her und horche an diesem Kristall.«
    Zögernd trat Lily näher. Es hatte den Anschein, als glänze der glatte Edelstein in seinem eigenen Licht.
    Tertius bemerkte ihr Zögern und lächelte affektiert. »Er ist nicht heiß. Wir beleuchten diese Kristalle zwar mit unseren Laternen, und sie nehmen das Licht auf, nicht aber die Wärme.«
    Zögerlich beugte sich Lily vor und legte das Ohr auf die glatte Oberfläche des Kristalls.
    »Was soll ich jetzt …?«, fing sie an, doch Septima bedeutete ihr zu schweigen.
    Tertius fing an zu singen.
    Als er gesprochen hatte, hatte seine Stimme rau geklungen. Nun aber drang eine liebliche Abfolge hoher Töne über seine Lippen. Es waren keine richtigen Worte, sondern lediglich eine sonderbar schwermütige Melodie. Lily war so überrascht, dass sie sich nicht rührte, sondern nur das Ohr an den Kristall hielt. Einen Moment lang vernahm sie lediglich Tertius’ Stimme, die in dem Kristall nachhallte und Obertöne wiedergab, die summten und funkelten.
    Dann plötzlich hörte sie Worte. Doch diese stammten nicht von Tertius. Es war eine völlig andere Stimme, die aus den Tiefen des Kristalls nach oben drang.
    Sie erkannte diese neue Stimme wieder. Es war ihre eigene.
    Was ist überhaupt so besonders an diesen Kristallen?
    Überrascht zog sie den Kopf zurück. Tertius hörte auf zu singen und lachte, doch Septima räusperte sich übertrieben.
    »Diese Kristalle beherrschen unser Leben«, sagte sie, so als zitiere sie etwas auswendig Gelerntes. »Sie haben etwas an sich, das es ihnen erlaubt, jahrelang, vielleicht sogar jahrhundertelang nachzuhallen. Wir glauben, dass jedes gesprochene Wort, jedes auf der Welt oben verursachte Geräusch von den Kristallschichten in dem Fels unter euren Ländereien eingefangen wird.« Sie markierte mit dem Finger einen Weg auf der Felswand und legte dabei eine Linie aus glitzerndem Fels frei, die hinauf zu dem Kristall führte. »Und der Nachhall verstärkt sich, indem er von Kristall zu Kristall weitergeleitet wird, bis er die Höhlen von Naru erreicht. Uns geht es dann darum, die Geräusche zu sortieren, um die Geheimnisse zu entdecken. Jeder Kristall offenbart uns neue Schätze.«
    Wie um es zu demonstrieren, sang Septima auf einmal einen hohen Ton, hell und klar. Der Kristall reagierte, indem sein Licht heller schien. Zunächst vernahm Lily lediglich einen Schwall unverständlicher Echos – wie von einer weit entfernten Menschenmenge. Dann veränderte Septima die Töne und sang eine Tonleiter hinauf und hinab. Dabei wurden einige Stimmen schwächer, während andere sich hervorhoben.
    Fühlt euch nicht beleidigt, wenn man euch Ratten nennt, meine Freunde …
    Das war ein Mann, der gerade eine Rede hielt.
    Bestellst du jetzt was zu trinken oder nicht?
    Ein anderer Mann, griesgrämig und eingeschnappt.
    Mein ganzes Leben lang bin ich Beute gewesen, wurde von anderen benutzt. Jetzt ist Schluss damit.
    Eine Frau. Lily

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