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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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verhalten sich merkwürdig, seit wir uns begegnet sind«, unterbrach ihn Mark entschlossen. »Sie wissen offenkundig mehr, als Sie sagen. Diese ganzen Geheimnisse, die Sie andeuten, diese ganzen kleinen Pausen. Den Sozinhos haben Sie erzählt, Sie wüssten nur deshalb von diesem Ort, weil Sie ihre Familiengeschichte erforscht haben. Im nächsten Atemzug sagen Sie uns, Sie hätten als Diener des Letzten gearbeitet. Mit Ihnen stimmt etwas nicht, Verso. Und manchmal glaube ich, Sie verbergen es auch gar nicht.«
    Verso rieb sich weiterhin nachdenklich die Handgelenke, ohne etwas preiszugeben. »Sie trauen mir also nicht, Mr Mark?«, fragte er schließlich.
    Mark überlegte einen Moment. »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich sollte ich es nicht, aber wenn Sie uns hätten hintergehen wollen, dann hätten Sie lügen können, was den Weg hier hinunter angeht.«
    Verso wandte sich ab. Seine Augen blickten wie in weite Ferne, so als erinnere er sich an etwas. »Lügen wäre einfach«, sagte er. »Das ist es immer. Aber die Wahrheit, nun, die steht auf einem ganz anderen Blatt. Ich habe schon so viele Wahrheiten kennen gelernt. Von winzigen Fakten zu gewaltigen Geheimnissen, und jedes ist eine Bürde. Aber hier ist ein Ort, wo man der Wahrheit ins Auge blicken muss.«
    Mark sah Verso an, musterte den alten Mann eine ganze Weile und versuchte dahinterzukommen, was in seinem Kopf vorging. Irgendetwas entging ihm, etwas Offensichtliches.
    »Für jemanden, der sein ganzes Leben lang Diener war, wissen Sie eine Menge«, stellte Mark fest.
    Verso kicherte und löste damit eine erneute Hustenattacke aus. »Diener haben viel Zeit zum Nachdenken, Sir«, sagte er, als er wieder zu Atem gekommen war. »Wir haben kaum etwas anderes zu tun, da wir nicht die Freiheit besitzen, unsere eigenen Entscheidungen zu treffen. Ja, ich kenne viele Geheimnisse, aber ich kann nichts damit anfangen. Jeder Schritt, den ich gemacht, jede Wahl, die ich getroffen habe, wurde von höheren Mächten festgelegt.«
    Mark verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Das hört sich in meinen Ohren wie eine Ausrede an.«
    Verso wandte sich ihm abrupt zu. »Wie meinen Sie das?«
    Mark zuckte mit den Schultern. »Diese Ausrede verwenden viele Menschen: ›Ich habe bloß getan, was mir aufgetragen wurde.‹ Es sind gewöhnlich die Leute, die zu viel Angst haben, um selbst etwas Neues auszuprobieren.« Er musterte Versos Gesicht und suchte es nach Anzeichen von Schwäche ab. »Es gibt immer eine Wahl.«
    Versos Lippen zuckten. »Sie begreifen nichts, Junge. Vor Ihnen liegen noch viele Jahre voller Möglichkeiten. Sie haben bis jetzt nicht einmal sechzehn Sommer erlebt. Was wissen Sie schon von Pflichten, von Opfern, die ein ganzes Leben ausfüllen?«
    »Nicht viel«, unterbrach Mark ihn mit dünnem Lächeln. »Aber ich weiß, dass ich mit einer Sache recht habe: Das war nicht die Rede eines Mannes, der zeitlebens Diener war.«
    Nun schaute Verso Mark direkt an, und Mark spürte die Kraft, die in diesem Blick lag. Es war ein sonderbar anerkennender Blick.
    »Ich würde Ihnen gern alles erzählen, Mark. Wirklich. Und schon bald werden Sie die Wahrheit erfahren. Doch ich habe meine eigenen Gründe, hier zu sein, und Sie sind nicht mein Beichtvater. Zuerst muss ich …«
    »Mark! Verso! Wo seid ihr?«
    Bens Rufe übertönten die Worte des alten Mannes. Atemlos und erregt kam sie den Stollen entlanggelaufen. Sie war schon näher, als es akustisch den Anschein gehabt hatte, erneut ein Effekt des merkwürdigen schwarzen Gesteins – Mark hatte sie nicht kommen hören.
    »Ben, was habt ihr …«, brachte er stotternd heraus, bevor sie ihn erreicht hatte, am Ärmel packte und auf die Beine zog.
    »Wir sind ihnen begegnet! Und sie wissen, wo sie ist! Komm schon! Wir haben sie gefunden!« Plappernd zerrte Ben an ihm.
    Mark riss sich los. »Nun mal langsam, Ben. Von wem redest du …?«
    Als ihn die Erkenntnis traf, verstummte Mark. Es gab nur einen Menschen, den sie meinen konnte.
    »Lily?«, fragte er.
    Ben lachte. »Ja, Lily! Was hast du denn gedacht?«, sagte sie spöttisch und versetzte ihm spielerisch einen Klaps auf den Hinterkopf. »Laud ist gerade bei den Menschen, die hier unten leben … Das ist vielleicht ein kauziger Haufen …«
    Doch Mark hörte schon gar nicht mehr zu. Gemeinsam mit Ben rannte er den Korridor entlang und ließ Verso zurück, der sich mit Mühe wieder aufrichtete.
    Der Stollen öffnete sich zu einer großen Höhle, in der es von Tischen, Kochtöpfen

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