Das Land des letzten Orakels
schien.
»Lily?«, sagte Ben erstaunt, doch Lily hörte sie nicht.
»Lily!«, schrie Laud aus Leibeskräften, doch sie reagierte nicht.
Ohne recht zu wissen, was er tat, rannte Mark los, warf einen abgestellten Teller mit Essen um und stieß eine Laterne zu Boden. Schließlich war er bei dem Instrument angelangt.
Als er Lilys Blick sah, geriet er ins Stocken. Ihre Augen blickten starr und ekstatisch. Lily bewegte die Lippen zu etwas, das er nicht hören konnte, war von einer Leidenschaft erfüllt, die er nicht zu erahnen vermochte. Sie sah überhaupt nicht wie seine Freundin aus. Sie wirkte kaum noch menschlich.
Er schlug mit den Händen auf die sich drehenden Kegel.
Ein greller Misston erklang, worauf das Flüstern sich auflöste.
Wie vom Blitz getroffen zuckte Lily zusammen und kippte nach hinten. Mark wollte sie auffangen, doch Laud kam ihm zuvor und packte sie, als sie rückwärtsfiel. Als sie um sich schlug, hielt Ben ihre Hände.
Zitternd stammelte sie etwas von Wahrheit und Geheimnissen und davon, dicht davor zu sein. »Lasst mich los … Ich muss zurück … ich muss … was … Ich …?« Sie starrte ihn wie durch einen Dunstschleier an. Dann fiel ihr die Kinnlade herab. »Mark? Mark!« Sie warf sich nach vorn und umklammerte sein Gesicht. »Es … ich … was?«
»Ich bin froh zu hören, dass du an deiner Redekunst gefeilt hast«, sagte Laud in einem Ton, der Humor und Zärtlichkeit so makellos miteinander verwob, dass Mark ihn kaum wiedererkannte.
Lily drehte den Kopf und lachte vergnügt. »Laud!«, rief sie und fiel ihm um den Hals.
»Muss ich dich erst beleidigen, um ebenfalls erwähnt zu werden?«, fragte Benedicta warmherzig.
Lily wandte sich ihr zu, und ihr Lächeln wurde breiter. »Ben! Ich kann es nicht fassen … Wie habt ihr mich gefunden? Ich dachte, ich wüsste alles über diesen Ort hier, aber … wie?«
»Nun, wir hatten ein wenig Hilfe«, erwiderte Mark, der gerade Verso im Höhleneingang auftauchen sah. Doch noch bevor er auf den alten Mann deuten konnte, schloss Lily ihn, den Tränen nah, in die Arme.
»Ich dachte … das wäre es … ich müsste den Rest meines Lebens nur die Dunkelheit und dieses Flüstern und … oh …« Lily umarmte alle drei so fest, dass Mark schon glaubte, sie würde ihm das Rückgrat brechen.
»Es ist ein Wunder; es ist …«
Sie hielt inne. Lächelnd schaute Mark zu ihr auf. Doch Lilys Hochstimmung war verflogen. Sie starrte auf den Eingang der Höhle, und auf ihrer Miene spiegelten sich Misstrauen und Feindseligkeit wider.
»Was macht der hier?«, wollte sie wissen.
Aller Augen richteten sich auf Verso, der stumm am Fuß der Stufen stand.
»Er hat uns hergeführt«, erklärte Ben, offenkundig verwirrt. »Ohne ihn hätten wir den Weg niemals gefunden …« Ben verstummte, sichtlich beunruhigt durch Lilys Miene. »Was ist denn, Lily? Kennst du ihn?«
Lily nickte langsam. »Mark, Laud, Ben«, sagte sie leise. »Ich möchte euch den Herrscher von Agora vorstellen.«
Als streife er seine alte Haut ab, veränderte sich Verso allmählich. Er richtete sich langsam auf, seine Glieder hörten auf zu zittern, seine ganze Haltung veränderte sich. Autorität legte sich um ihn wie ein Umhang. Als er wieder sprach, klang seine Stimme deutlich und vollkommen gelassen.
»Wie schön, Sie wiederzusehen, Miss Lilith«, sagte der Empfangsdirektor.
KAPITEL 12
Enthüllungen
Lily starrte den Direktor an. Er hatte sich verändert, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Damals, als er hinter dem Mahagonischreibtisch seines Büros im Direktorium gesessen hatte. Seine Haut war ein wenig blasser, seine Falten hatten sich tiefer eingegraben. Doch selbst in den abgewetzten Stiefeln und dem geflickten Jackett eines Dieners konnte man ihn nicht verwechseln.
»Allerdings fürchte ich, dass Sie nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand sind«, fuhr der Direktor fort, während er beschwingt in die Höhle schritt. »Ich bin in Ihrer Abwesenheit meines Amtes enthoben worden. Mr Snutworth hat das Amt nun inne, und ich hoffe, es möge ihm viel Gutes bringen. Aber ja, als wir uns das letzte Mal begegneten, war ich der Direktor. Ich muss zugeben, ich hatte nicht damit gerechnet, dass unsere nächste Begegnung im Mausoleum stattfindet, auch wenn dies in gewisser Weise angemessen ist.«
Mark und Ben, die neben Lily standen, verharrten stumm. Ein geradezu komischer, ungläubiger Ausdruck stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
Laud hingegen benötigte nicht lange, um sich zu
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