Das Land des letzten Orakels
etwas, das sich so anhörte wie ein Echo der Stimme des Orakels.
Du wirst mich nicht verlassen … du wirst nicht gehen, meine Tochter …
»Lily …«, sagte Laud und rappelte sich wieder auf. Er musste weiter. Diese Stollen waren nicht mehr sicher. Wenn er sie wenigstens zurück zum Mittelpunkt bringen konnte, dann würde es ihm sicher gelingen, sie zu beruhigen. Auf ihn, auf ihre Freunde würde sie hören. Sie musste bloß damit aufhören davonzulaufen.
Er drängte sich in den Karren, und Tertius löste den Bremsgriff. Sie rasten los, und das Zahnradungetüm ließ sie die Schienen entlang auf den neuen Stollen zuschießen.
Die Stimme des Orakels erklang nun lauter; in ihr schwang ein Anflug von Schmerz mit.
Bleibe … bleibe … bleibe für immer.
Mit jedem Wort wurde das Beben stärker und das knirschende Geräusch über ihnen durchdringender. Laud schaute hinauf. Risse zogen sich über die gesamte Höhlendecke. Der Fels drohte einzustürzen.
»Schneller!«, schrie er, und Septima beugte sich vor und zog an einem Hebel.
Der Karren schoss nach vorn.
Der Stollen verschluckte sie.
Und die Welt stürzte um sie herum ein.
Laud krabbelte aus dem Wrack des Karrens heraus und richtete sich mit zitternden Beinen auf. Sein ganzer Körper tat ihm weh, doch offenbar war nichts gebrochen. Hustend wischte er sich den Staub aus den Augen. In dem schwachen Licht der Kristalle erkannte er, dass der Stollen sowohl vor als auch hinter ihnen eingestürzt war und sie eingeschlossen hatte. Tertius war aus dem Karren hinauskatapultiert worden und wühlte bereits in der Gesteinsmasse, die ihnen den Rückweg zum Schienenknoten versperrte. Er wirkte mitgenommen, und seine Kleidung war zerrissen, aber er war unverletzt. Septima hingegen hatte weniger Glück gehabt. Sie lehnte am Wrack des Karrens, und über ihr Bein zog sich eine lange, tiefe Schnittwunde, die blutete. Ihr Lächeln hatte sie jedoch nicht verloren, auch wenn in ihren Augen Tränen standen.
»Du … weißt aber wirklich, wie man jemanden spazieren fährt!«, verkündete sie lebhaft trotz allen Schmerzes.
Hastig beugte sich Laud hinab, um ihr Bein zu untersuchen, doch sie zog es zurück.
»Schon gut«, sagte Laud rasch, »ich habe als Assistent bei einem Arzt gearbeitet.«
Septima starrte ihn an. »Nicht berühren«, sagte sie grimmig. »Sind Sie ein Monster oder so?«
Laud seufzte frustriert. Waren denn hier unten alle verrückt?
Er zog sein Hemd aus. Wirklich sauber war es nicht, aber doch in besserem Zustand als der Rest seiner Kleidung, die bei dem Einsturz von Staub bedeckt worden war. Es war ein altes Hemd und bereits ein wenig zerfetzt. Er riss einen Streifen ab und ließ ihn vor ihr baumeln.
»Bedecken Sie die Wunde wenigstens damit«, ordnete er an. Septima schaute misstrauisch auf den Lumpen und packte ihn dann an einem Ende.
Während sie die Wunde betupfte, starrte Laud auf den Karren hinab. Sein Mechanismus war zerstört. Hätte einer von ihnen nur ein wenig weiter hinten gestanden … Seine trübsinnigen Gedanken wurden von einem weiteren unheilvollen Rumpeln unterbrochen. Er wirbelte herum. Tertius zog kleine Felsen aus dem Schuttberg. Während Laud zuschaute, begann ein größerer Fels zu zittern und polterte herab, direkt über dem Kopf des jungen Naruvaners.
»Weg da!«, rief Laud. »Sie bringen den ganzen Berg zum Einsturz.«
Tertius zog sich gerade noch rechtzeitig zurück, als der Fels auch schon zu Boden krachte. Einen Moment bebte erneut der ganze Stollen, und Laud warf sich zu Boden …
Doch es geschah nichts. Die Decke blieb stabil. Mit hämmerndem Herzen richtete sich Laud auf. In dem Geröllhaufen war an der Stelle, wo der Fels sich bewegt hatte, eine kleine Lücke entstanden, durch die nun Licht einfiel. Gefasst darauf, sich augenblicklich unter die Überreste des Karrens zu werfen, kroch Laud zu der Lücke hinauf und spähte durch sie hindurch zurück zum Schienenknoten.
Das hätte er lieber nicht tun sollen. In der Höhle türmte sich ein großer Berg zertrümmerter Zahnräder. Ein Teil der Decke war auf den zentralen Mechanismus gestürzt, und überall lagen verbogene Zahnräder, Ketten und Schienen herum. Alle Stollen waren blockiert, jeder Ausgang versperrt. Hier und da sah Laud inmitten der Trümmer Gestalten liegen. Es waren Gestalten, die er lieber nicht näher inspizieren wollte. Überall lugten bunte Kleiderfetzen hervor.
Als ihm schwindlig wurde, lehnte er sich mit der Stirn gegen den Fels. Diese Stollen hatten so
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