Das Land des letzten Orakels
massiv ausgesehen. Doch als Lily sich mit dem Orakel gestritten hatte, war etwas in Gang gesetzt worden. Es war, als hätte das Beben aus ihrer beider Aufruhr Kraft bezogen. Er erinnerte sich an diese Echos, die sich angehört hatten wie das nach ihrer Tochter schreiende Orakel. Aber das konnte es nicht sein. Das Orakel konnte doch nicht die eigenen Leute in den Tod schicken, bloß um Lilys Flucht zu verhindern. Oder etwa doch?
Erneut schaute er zum Schienenknoten. Seine Gedanken schienen von den widerhallenden Felsen flüsternd zurückgeworfen zu werden. Was, wenn Mark und Ben ihnen gefolgt waren? Was, wenn sie beim Einsturz eingeschlossen worden waren? Was, wenn Lily nicht weit genug vorwärtsgekommen war? Was, wenn er und diese beiden Naruvaner die einzigen Überlebenden waren …?
Ächzend richtete er sich auf, während das Geflüster erstarb. Es brachte nichts, sich den Kopf zu zerbrechen. Nicht jetzt. Ben und Mark waren einfallsreich – falls sie überlebt hatten, würden sie auch einen Weg herausfinden.
Er richtete seine Aufmerksamkeit auf das andere Ende des Stollens. Es war sinnlos zu versuchen, zurück zum Schienenknoten zu gelangen; es konnte Tage dauern, bis der Weg zurück zum Mittelpunkt freigeräumt war. Der Schutt an diesem Ende hingegen sah nicht ganz so undurchdringlich aus. Die Höhlendecke machte einen stabilen Eindruck, und wenn er nur einige wenige Felsen bewegte, könnte er damit vielleicht eine Lücke schaffen, die groß genug war, um sich hindurchzuzwängen.
»Können Sie mir helfen, das hier wegzuräumen?«, fragte er, während er zu Tertius hinüberblickte. Doch der junge Mann hörte ihn nicht. Er saß auf dem Boden, sein Körper war zusammengekrümmt, den Kopf hatte er gegen die Wand gelehnt. Sein langes Haar bedeckte sein Gesicht, und er jammerte.
»Ich weiß, dass es schwierig ist«, sagte Laud schroff. »Aber wenn wir das hier schaffen, sind wir schnell wieder draußen. Dann können wir Hilfe holen.« Er wies auf Septima. »Ihre Freundin ist verletzt. Bedeutet Ihnen das denn gar nichts?«
Tertius regte sich nicht. Laud runzelte die Stirn, verschwendete jedoch keinen Atemzug mehr an diesen Mann. Er zog sich die Jacke aus und begann an den Felsen herumzuruckeln und mit den Fingern an den rauen Steinen zu kratzen.
»Sie wollen ihr immer noch folgen?«, sagte Septima plötzlich.
Laud machte weiter. »Ich versuche uns hier rauszuholen«, erklärte er, vor Anstrengung ächzend. »Jemand muss Ihre Wunden anständig verbinden. Sie müssen jemandem erlauben, Sie zu berühren.«
»Dafür gibt es die Wächter«, sagte Septima mit vor Schmerz brechender Stimme. »Die haben mit Berühren zu tun … würg …« Sie gab einen angewiderten Laut von sich. »Vielleicht ist das hier gar nicht so schlecht … Ich habe noch nie Schmerzen gehabt. Es ist … irgendwie … aufregend …«
Laud warf einen Blick über die Schulter. Sie stocherte in der Wunde herum und schauderte nach jeder Berührung.
»Tun Sie das nicht«, murmelte er. »Halten Sie sie einfach sauber. Ich werde Hilfe holen, sobald ich hier rauskomme.«
»Dort drüben gibt es keine Hilfe«, sagte Septima leise. »Dort ist bloß sie . Lily. Unser Wunder.« Sie gähnte und schien den Schmerz in ihrem Bein vergessen zu haben. »Jedermanns Wunder, vor allem Ihres. Wir sind beinahe gestorben, und trotzdem laufen Sie ihr weiter hinterher.«
Laud biss die Zähne zusammen, fuhr jedoch damit fort, das Gestein beiseitezuräumen. »Sie ist meine Freundin«, verteidigte er sich. »Ich würde überall hingehen, um sie zurückzuholen.«
Septima lachte. »Warum? Sie ist interessant, vermute ich, aber Sie wissen doch schon alles über sie. Sie wird einfach nur langweilig werden wie alle anderen auch.«
Laud verkniff sich eine sarkastische Antwort. Es hätte zu nichts geführt; er bezweifelte, dass sie es verstehen würde. Er drehte sich um und sah Septima an. »Es geht nicht darum, was ich schon weiß. Es geht um sie . Ihre Seele, ihr Wesen …«
»Ach, das !« Septima lachte erneut. »Das ist leicht. Ich werde Lily für Sie sein. Ich werde mich genau wie sie anhören.« Sie runzelte die Stirn und verschränkte die Arme. »Ich muss die Wahrheit herausfinden«, sagte sie dramatisch. »Nichts kann mich aufhalten! Ich werde die Welt retten …«
»Hören Sie auf damit!«, schrie Laud.
Seine Stimme hallte in dem Stollen wider. Laud wurde bewusst, dass er die Hand erhoben und zur Faust geballt hatte. Beinahe hätte er sie geschlagen. Septima
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