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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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Aber es war keine friedliche Stille – in der Luft lag eine Spannung.
    Dieses Gefühl wurde noch stärker, als sie die Korridore entlanggingen und dann auf die Straßen des Jungfrau-Bezirks hinaustraten. Überrascht stellte Mark fest, dass es später Vormittag war – sie hatten in Naru jedes Zeitgefühl verloren. Es war ein wunderschöner Tag, heiter und frisch, aber die Straßen in der Nähe vom Haus des Letzten waren wie leergefegt.
    »Also …«, sagte Mark mit leiser Stimme. »In welche Richtung geht es zurück zum Tempel?«
    Ben runzelte die Stirn. »Hier entlang«, sagte sie. »Zumindest glaube ich das. Ich kann mich allerdings nicht an diese Bude dort drüben erinnern …«
    Mark schaute genauer hin. Die Bude wirkte absolut fehl am Platz. Es war eine klapprige, an die Ecke dieser eleganten Straße gebaute Holzkonstruktion, die den Anschein erweckte, als sei sie in wenigen Minuten zusammengezimmert worden.
    »Ich bin mir sicher, dass sie mir aufgefallen wäre«, stimmte er ihr zu. »Vielleicht sind wir ja falsch abgebogen?«
    Er trat auf die Bude zu, um sie näher in Augenschein zu nehmen. Abgesehen von einer großen Handglocke aus Messing lagen keinerlei Waren aus. Die Inhaberin, eine überraschend elegante Frau mit einem bleichen, müde wirkenden Gesicht, starrte niedergeschlagen in die andere Richtung. Sie wirkte zwar angespannt, aber harmlos.
    »Sollen wir fragen?«, flüsterte Mark.
    Ben dachte darüber nach. »Ich werde fragen«, sagte sie. »Hinter dir sind immer noch die Eintreiber her, schon vergessen?«
    Mark willigte ein und glitt um eine nahe gelegene Hausecke, um nicht gesehen zu werden. Von dort beobachtete er, wie Benedicta auf die Frau zuging.
    »Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Könnten Sie mir wohl sagen, auf welchem Weg ich zum …?«
    Die Frau zuckte zusammen. »Oh … Verzeihung«, stotterte sie. »Meine Nerven liegen blank, aber das ist ja keine Überraschung. Man muss sich hüten vor den …« Sie unterbrach sich und musterte Ben von oben bis unten. Ein Anflug von Argwohn schlich sich in ihre Stimme. »Ich kann mich nicht erinnern, Sie hier in der Gegend schon einmal gesehen zu haben. Wer ist deine Herrin, Mädchen? Du bist offenbar eine Dienerin.«
    »Eigentlich nicht, nein«, sagte Ben geduldig. »Ich versuche bloß wieder zurück zum Tempel zu gelangen, in …«
    Weiter kam Ben nicht. Mit einem gellenden Schrei griff die Frau nach der Handglocke auf dem Tresen und schwenkte sie wie wild hin und her. Ihr schrilles Läuten durchdrang den friedlichen Morgen.
    »Eintreiber! Herbei, Eintreiber, schnell! Oh, bei allen Sternen, nun kommt doch!«, rief sie.
    Alarmiert machte Ben einen Satz zurück. »Was geht hier vor? Was …?«
    In der Ferne hörte Mark die Reaktion in Form schrillen Pfeifens.
    »Lauf!«, rief er und sprang aus seiner Deckung hervor.
    Zu zweit rannten sie die kopfsteingepflasterten Straßen entlang. Zu dem Pfeifen gesellten sich angstvolle und alarmierte Schreie. Überall um sie herum wurden Fenster in den Häusern geöffnet, und Herren wie Diener riefen nun ebenfalls nach den Eintreibern. In der Ferne entdeckten sie sich nähernde Menschen in mitternachtsblauen Mänteln. Mark drückte sich in eine Gasse, und Ben wäre fast gegen ihn geprallt.
    »Die Eintreiber … haben sie …?«, stieß Mark keuchend hervor, zu erschreckt und verwirrt, um etwas Sinnvolleres von sich zu geben.
    »Ich glaube nicht, dass sie uns gesehen haben«, keuchte Ben. »Wir haben schon fast den großen Marktplatz erreicht – das ist der schnellste Weg nach Hause. Zumindest …« Sie dachte noch einmal darüber nach, und ihre Zuversicht schwand. »… war er es, als wir aufbrachen.«
    Mark nahm Ben an der Hand und drückte sie beruhigend. »Erst laufen, dann sich Gedanken machen?«, schlug er vor.
    Ben nickte. »Unbedingt«, sagte sie.
    Sie hasteten durch die Straßen, während das Pfeifen in der Ferne verklang. Ab und zu kamen sie an einer der klapprigen Buden vorbei. Nun war es offenkundig, dass es sich bei diesen um Wachposten handelte – besetzt mit zivilen Freiwilligen, die sich erboten, die Eintreiber herbeizurufen. Doch der Jungfrau-Bezirk war immer verschlafen gewesen. Als sie vor sechs Tagen Agora verlassen hatten, hatte es hier kaum einen Eintreiber gegeben. Nun schienen hier regelmäßig Streifen zu patrouillieren, vor denen sie sich verbergen mussten. Alle paar Minuten sahen sie jemanden in einem blauen Mantel und waren gezwungen, in Gassen auszuweichen oder sich atemlos hinter

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