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Das Land des letzten Orakels

Titel: Das Land des letzten Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Whitley
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zu nehmen. Die Kakophonie hätte ihre letzten Worte ihm gegenüber wiedergeben können, als sie ihm versprach, die Einnahme abgefüllter Gefühle aufzugeben, die sie brauchte, um durch den Tag zu kommen.
    In seinen Träumen hörte er diese Worte oft genug.
    So viele Menschen hatten ihn verlassen. Und nun war er gegangen. Benedicta, die Letzte aus seiner Familie, war weit weg. In den Stollen, umgeben von leer widerhallenden Worten, war er selbst sein einziger Gefährte. Und er kannte sich selbst nicht gut genug, als dass ihm dabei wohl zumute gewesen wäre.
    Er hatte eine große Enthüllung erwartet, eine tiefe Wahrheit. Doch er stellte lediglich fest, dass sein Verlangen weiterzugehen immer stärker wurde. Genau erklären konnte er sich das nicht, aber er durfte sich Lily einfach nicht noch einmal durch die Finger gleiten lassen.
    Er blickte auf. Ja, dort oben schien definitiv Licht. Es war eine zerklüftete Öffnung, direkt hinter der nächsten Biegung, die sich mit jeder weiteren Stufe verbreiterte. Laud streckte die Hand aus, um sich an die Wand zu lehnen. Er bemerkte dabei zum ersten Mal, dass seine Finger rau und zerkratzt waren, ein Andenken an die unzähligen Male, die er in den dunklen Stollen gestürzt war. Er riskierte einen Blick nach unten. Seine Kniehosen waren zerrissen, seine Stiefel abgenutzt. Er schob sich ein paar Strähnen seines roten Haars aus dem Gesicht. Wenn er Lily endlich erreicht hatte, würde er keinen besonders vertrauenerweckenden Anblick abgeben.
    Andererseits konnte das auch von Vorteil sein, sinnierte er, als er auf dem obersten Treppenabsatz ankam. Falls es Ärger gab, würde ein einziger Blick auf sein heruntergekommenes Äußeres jeden davon überzeugen, dass mit ihm nicht zu spaßen war.
    Er tastete nach dem Rand der Öffnung und zog sich aus den zerstörten Überresten von etwas heraus, das wie eine Gruft wirkte. Das plötzliche, aus einer Öffnung in der Decke dieser Felskammer weit über ihm einfallende Licht blendete ihn. Es sah hier fast so aus wie in einer Art Krypta …
    Plötzlich spürte er, dass die Spitze einer Klinge leicht in seinen Rücken stach.
    »Was haben Sie hier verloren, Bewohner der Dunkelheit?«, fragte eine heisere Stimme dicht an seinem Ohr.
    Ohne einen Gedanken darüber zu verschwenden, wirbelte Laud herum und erwischte den Mann unvorbereitet. Das Messer fiel dem Angreifer aus der Hand und landete klappernd auf dem Boden. Laud stellte seinen Fuß darauf und konzentrierte sich auf den Mann. Er war mit einer rostroten Kutte bekleidet, deren Kapuze er hochgezogen hatte, sodass sie sein Gesicht verdeckte.
    »Begrüßen Sie alle Ihre Gäste so?«, fragte Laud, mit Sarkasmus seine Nervosität überspielend. Da er nicht wusste, ob der Mann allein war, sah er sich rasch in der runden Felskammer um.
    Argwöhnisch trat der Mann zurück. »Sie sind nicht willkommen in der Kathedrale«, verkündete er. »Wir haben den Weg zu den Ländern unten versiegelt. Nur die Richter dürfen passieren.«
    Laud musterte den Mann. Bedrohlich sah er nicht aus, schon gar nicht, wenn man bedachte, wie leicht er sich von Laud hatte entwaffnen lassen. Doch er konnte es sich nicht leisten, aufgehalten zu werden.
    »Wie gut also, dass ich einer der Richter bin«, sagte er und hielt seine Stimme dabei absolut sachlich. »Ich heiße Mark; ich bin der Protagonist.«
    Augenblicklich veränderte sich die Haltung des ganz in Rot gekleideten Mannes, und er warf seine Kapuze zurück, um besser sehen zu können. Unwillkürlich zuckte Laud zusammen. Das Gesicht des Mannes war mit so vielen dicken, bleifarbenen Narben übersät, dass er kaum mehr wie ein Mensch aussah. Er streckte Laud seine gleichermaßen schlimm zugerichteten Hände entgegen.
    »Den Sternen sei Dank«, rief er aus. »Ich habe auf Sie gewartet. Wolfram sagte, Sie wären gefangen genommen worden, aber ich wusste, dass der Protagonist sich niemals einsperren lassen würde. Nachdem Miss Lily aus der Gruft geklettert war, war ich davon überzeugt …« Er hielt inne und legte die Stirn seines zerstörten Gesichts in Falten. »Ich dachte, Wolfram hätte gesagt, Sie seien blond?«
    »Ist Lily hier vorbeigekommen?«, unterbrach ihn Laud hastig.
    Der Mann nickte sofort. »Ja, aber Sie sollten wissen …«
    »Wo ist sie?«, schnitt ihm Laud das Wort ab.
    Der Mann hob die Hände. »Ich … habe versucht sie aufzuhalten«, stammelte er. »Ich habe gemerkt, dass sie sehr aufgewühlt war. Das arme Kind. Bestimmt hatte sie schon seit Tagen

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