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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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getroffen!«

39
    Ich wollte nichts über Toms Mädchen wissen, irgendeine arme Küchenmagd oder junge Wäscherin, die vom Königinnenreich fortgeschleppt worden war, um der Prinzessin zu dienen. Aber wenn Tom mir etwas erzählen wollte, gab es kein Entkommen. Während Jee, der wegen der Kälte in Toms Pelzumhang gewickelt war, uns über das Feuer hinweg beobachtete, plauderte Tom weiter.
    »Dieser wilde Bastard– der Wächter, der auf mich aufpasst, während du weg bist– gibt mir nun sehr viel mehr Freiheiten. Nun, ich bin gefesselt, nicht wahr? Und er denkt vermutlich, dass das Königinnenreich jetzt viel zu weit weg ist, dass ich ganz allein zurückkehren könnte… Auf jeden Fall hat er mit zwei anderen Soldaten gewürfelt… ich wünschte, sie würden mich mitspielen lassen! Ich wette zehn zu sechs, dass ich sie alle schlagen könnte. Aber ich habe gestern eine Stunde lang zugeschaut, und die Regeln…«
    »Tom, ich bin sehr müde.«
    »Gut, in Ordnung. Ich werde meine Geschichte kurz halten. Ich bin im Wäldchen am Bach spazieren gegangen, und sie war dort, und ich habe mit ihr geschlafen. Oh, jetzt fühle ich mich so viel besser. Ein Mann braucht eine Frau.« Er zwinkerte.
    »Schön«, sagte ich. »Gute Nacht.«
    »Sie heißt Alysse.«
    »Sehr hübsch.«
    »Ich werde sie morgen wiedertreffen.«
    »Gut.«
    »Sie hat rotgoldene Locken und Brüste wie…«
    »Gute Nacht, Tom.«
    »Du brauchst eine Frau, Peter. Wirklich. Ich sage das als ein Freund. Ich weiß, dass du verheiratet bist, aber letzten Endes, vergiss es, Maggie ist weit weg. Wenn du mit einer Frau ins Bett gehst, wärst du von deiner Melancholie geheilt.«
    Meiner »Melancholie«. Ich musste einem großen Heerführer eine Kunst beibringen, die ich nicht beherrschte. Ich hatte eine wahnsinnige Schwester, die dazu benutzt wurde, die Macht der Toten umzuleiten, um Menschen zu schaffen, die niemals starben. Ich hatte ein Kind, das im Leib einer Frau heranwuchs, die ich verlassen hatte. Da war auch eine Prinzessin, die von Phantomen von der anderen Seite des Grabes heimgesucht wurde. Und ich hatte das Versprechen einer Rettung, die nicht kam. Das Bett mit einer Frau zu teilen würde meine Melancholie nicht heilen, die sich in dieser Nacht wie die tiefste Verzweiflung anfühlte.
    Und dann wurde sie noch tiefer, in meinem Traum.
    Ich sah sie aus dem Nebel heraustreten. Ihre Krone glitzerte golden in einem Licht, das ich nicht wahrnehmen konnte, ein Licht, das hell und schrecklich irgendwo hinter dem Horizont strahlte. Sie trug ein lavendelblaues Kleid wie meine Mutter – unsere Mutter –, und ihr Haar hatte das gleiche satte Braun wie das meiner Mutter. In ihren Augen glitzerte der Wahnsinn. Sie sagte: »Roger. Bruder.«
    Ich antwortete: »Wie kannst du …« Aber sie unterbrach mich.
    »Wir haben deinen Vater, hast du das gewusst? In Galtryf. Er ist unser Gefangener. Wie auch du es eines Tages sein wirst.« Ihr Lachen drang durch den Nebel heran, und auf einmal fühlte ich, wie ich mich auflöste, wie mein Fleisch auf groteske Weise von den Knochen troff und die Knochen selbst zu Pulver zerfielen wie die von Cecilia, wie die von Fia …
    »Peter!« Jee kauerte über mir, eine kleine braune Gestalt in der Morgendämmerung. Das Lager regte sich bereits, und die Wilden drehten die Köpfe, um den schreienden Antek anzustarren. Mein Wächter ragte über dem Feuer auf, das Gewehr auf nichts gerichtet, die blauen Augen vor Angst getrübt.
    »Du träumst«, sagte Jee. »Wach auf, Peter!«
    »Ich bin wach.« Vernebelt setzte ich mich auf.
    Der Wächter senkte das Gewehr, und die Angst wich aus seinem Blick. Kein gewöhnlicher Feind konnte je Angst auf das Gesicht eines Soldaten zaubern, aber ich war eine Hexe. Selbst im verwirrten Zustand zwischen Schlafen und Wachen, selbst im Kielwasser meines schrecklichen Traumes erkannte ich, dass dieses Wissen sich als nützlich erweisen könnte. Mein Wächter hatte Angst vor der Hexenkunst.
    Jee jedoch hatte keine. Er sagte voller Abscheu: »Steh auf, Peter. Es ist spät.«
    »Weck Tom auf.« Tom schnarchte immer noch, ohne von all dem Lärm etwas mitzubekommen. Jee rüttelte ihn wach.
    »Oh, Katzenpisse«, murmelte Tom. »Schon Morgen? Verdamm mich, das war eine kurze Nacht! Ich habe von… jemandem geträumt.« Er zwinkerte mir zu und bewegte die Lippen: »Alysse.« Jee schnaubte.
    Das Grauen meines Traumes lag noch auf mir. Mein eigener Körper löste sich für alle Ewigkeit auf… Nein. Es war nur ein Traum gewesen.

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