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Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02

Titel: Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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Ich war hier, lebend, stofflich. Aber die Rettung würde nicht kommen; mein Vater war an einem Ort namens Galtryf gefangen. Ich konnte an nichts anderes denken, während wir den Tagesmarsch hinter uns brachten. Mutter Chilton hatte diesen Ort erwähnt, aber wo lag dieses Galtryf? Es kam keine Rettung…
    Doch meine Schwester hätte auch leicht lügen können. Schließlich war sie wahnsinnig.
    Zwei weitere Tage vergingen. Nun fiel das Land langsam ab; wir waren über die höchsten Berge hinweg. Nach und nach tauchten seltsame Pflanzen auf, große rote Büsche mit Blättern so scharf wie Schwerter. Die Luft wurde noch kälter. Die Wilden wurden lauter und heiterer, während sie sich der Heimat näherten. Der Junghäuptling versuchte, von einem weißen Stein zu träumen. Sein Blick begann mit– was? Argwohn?– auf mich zu fallen. Ein weiterer Wächter wurde für mich abgestellt, und beide hielten sich stets in meiner Nähe. Tom, dessen Bewachung jeden Tag lockerer ausfiel, während ich stärker bewacht wurde, traf sich jeden Nachmittag irgendwo im Wald mit Alysse. Die Kälte kam ihren amourösen Aktivitäten offenbar nicht in die Quere, genauso wenig wie das Stück Seil zwischen Toms Knöcheln. Jee, der meine Verzweiflung spürte, hing wie ein Schatten an mir.
    »Schau!«, sagte Tom eines Vormittags. »Das ist sie! Das ist Alysse!«
    Wir waren ein paar Stunden lang marschiert, gewärmt durch die Bewegung und von der Sonne, die von einem erfreulich wolkenlosen Himmel schien. Es war schon fast an der Zeit, für ein Mittagsmahl anzuhalten. Meine Beine schmerzten. Ich wollte nicht schon wieder über Alysse sprechen, aber ich warf pflichtschuldig einen Blick auf sie.
    Und ich blieb unvermittelt stehen, so plötzlich, dass Jee gegen meine Beine stolperte.
    Das war keine liederliche Küchenmagd. Sie stand zwanzig Schritte von mir entfernt, hielt einen Wassereimer und starrte mir genau in die Augen. Es war ein vollkommen aufmerksamer Blick, als wüsste sie, was ich war. Hisaf. Sie wusste es. Ich war mir dessen sicher, obwohl ich nicht sagen konnte, weshalb. Dann, während ich zurückstarrte, veränderte sich ihr Gesicht. Nur einen Augenblick lang, aber die plumpen, mädchenhaften Wangen und der rosige, kleine Mund wurden zu den hagereren, festeren Umrissen einer reifen Frau, weder jung noch alt– wie Mutter Chilton es einst gewesen war, ehe sie sich in die Greisin verwandelt hatte, mit der Tom auf der Klippe über dem Meer gesprochen hatte. Im nächsten Augenblick war die Reife verschwunden. Tom hatte nichts bemerkt; die Verwandlung von Alysse hatte nur für mich stattgefunden.
    Sie gehörte zu dem Schattennetz von Frauen, die die Seelenkünste ausübten. Weshalb war sie hier und ging mit Tom Jenkins ins Bett?
    Mein Wächter, der mich nicht berührte, drängte: »Klef! Klef!« Sein Unterstützer, der schnell erkannte, wo ich hinblickte, rief Alysse zu, dass sie weitergehen sollte. Das tat sie mit einem Blick nach hinten über die Schulter zu Tom, der erfreut grinste.
    »Sie will mich wieder, Peter«, prahlte er.
    »Sie ist… sie ist sehr hübsch.«
    »Eine Schande, dass du verheiratet bist, was?« Dann, mit einer selbstbewusst-nüchternen Geste, fuhr er fort: »Obwohl natürlich deine Maggie auch ganz wunderbar ist.«
    Ich musste mit der Frau sprechen, aber ich sah keine Möglichkeit, zu ihr zu gelangen. Ich wurde jeden Augenblick beobachtet, und Tom würde mir nicht von Nutzen sein.
    Aber vielleicht Jee.
    »Allerdings ist Maggie recht weit weg«, sagte Tom. »Verdammt, niemand kann erwarten, dass du keine natürlichen Bedürfnisse hast. Und es gibt nichts Besseres als eine Frau, um die Laune eines Mannes zu heben.«
    »Ja«, sagte ich. »Weiß ich.«
    »Jee«, sagte ich, als wir das Lager für die Nacht aufschlugen. »Ich habe eine Aufgabe für dich.«
    »Was«, antwortete er tonlos.
    »Es ist nicht gefährlich.« Das war eine dumme Aussage; alles hier war gefährlich.
    »Ich habe keine Angst vor Gefahr«, behauptete er mutig, und mein Herz bekam einen Sprung. Zehn Jahre alt, und schon war er gezwungen, sich wie ein Mann zu benehmen.
    »Jeder hat manchmal Angst, Jee. Meine Wächter haben Angst vor dir. Das weißt du, stimmt’s?«
    Er nickte. Überall um uns herum riefen Leute, entzündeten Feuer, stellten Zelte auf, kochten, fütterten Esel, schleppten Wasser und fanden sich zu Gruppen zusammen, die keinen Dienst hatten und sangen. Es war die beste Zeit für Jee, um durch das Lager zu schlüpfen. Er war inzwischen

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