Das Land hinter den Nebeln - Buch der Seelen 02
dem äußerstes Selbstvertrauen und Zielgerichtetheit lagen. Aber Tarek kam sonst nie in diesen Teil des Lagers. Hinter ihm gingen zwei seiner Hauptleute, und hinter ihnen drei Soldaten, die voll bewaffnet waren und Schilde trugen. Die sechs Männer bewegten sich leise durch die schlafenden Soldaten und das weniger ordentliche Lager der Palastleute auf mich zu.
»Was zum… Verdammt…«
»Sei leise, Tom. Ich meine es ernst. Sag nichts. Du bist mein Diener.«
Die Wilden erreichten unser Feuer. Tarek wurde nicht langsamer, sondern ging weiter. Einer der Hauptleute warf meinem Wächter einen scharfen Befehl zu, woraufhin dieser mich auf die Füße riss und mitten in die Prozession hineinstellte, genauso zielsicher wie ein Habicht seine Beute greift, ohne im Flug zu taumeln. Tom, der schon stand, eilte an meine Seite.
»Tom, nein.«
»Ich bin dein nel, erinnerst du dich? Das sieht ernst aus.«
Das sieht ernst aus. Tom, der für gewöhnlich nicht zu Untertreibungen neigte, sagte, dass es ernst aussah. Gelächter stieg in meiner Kehle auf, das irre Gelächter der hysterischen Angst. Ich drängte es zurück. Was immer hier geschah, in dieser unheimlichen Dämmerungsstille, ich würde meinen Verstand brauchen. Selbst zum Sterben.
Wir neun gingen durch das Lager zum Zelt der Prinzessin. Abseits des Feuers biss die Kälte mir in die Haut; irgendwann während der Nacht war der Winter angebrochen. Tom hielt Schritt trotz des Seils zwischen seinen Knöcheln, mit dem er auf merkwürdige Weise halb hüpfte und halb ging. Die Wilden versuchten nicht, ihn aufzuhalten. Ins Perlgrau des östlichen Himmels mischten sich plötzlich rosafarbene Streifen. Irgendwo zu meiner Linken holte ein Soldat scharf Luft, als wir vorbeigingen. In den Wäldern dahinter rief eine Eule.
Drei Wächter lagen friedlich vor Stephanies Zelt auf dem Boden. Mehr als friedlich– ihre Glieder hatten sie vollkommen selbstvergessen von sich gestreckt, und alle drei schnarchten laut. Sechs aufrechte Soldaten umkreisten das Gebäude aus Stangen und Tierhäuten, die Gewehre bereit. Dann sah ich Susannah, die seit nicht einmal einem halben Tag königliche Amme war, zwanzig Schritt vom Zelt entfernt gefesselt und geknebelt an einem Schössling sitzen. Als sie mich sah, kämpfte sie gegen ihre Fesseln an und versuchte zu schreien, aber kein Geräusch kam heraus.
Tarek wurde nicht langsamer, während er die Zeltklappe zur Seite schlug und eintrat, gefolgt von seinen Hauptleuten. Die drei Soldaten blieben draußen. Ich folgte Tarek, Tom stolperte mir hinterher, und niemand hielt einen von uns auf. Also wollte Tarek Tom dabeihaben. Weshalb? Was würden wir drinnen vorfinden, sodass es nötig war…
Wir fanden Jee.
Er stand trotzig in der Mitte des von der Feuergrube erwärmten Zeltes, sein Umhang lag in einer Ecke. Er hielt Prinzessin Stephanie bei der Hand. Jees Augen waren feucht, aber als er mich sah, verschwanden die Tränen, und Zorn nahm ihren Platz ein.
»Du hast nichts getan, um ihr zu helfen! Nichts! Also musste ich… ich musste… dafür sorgen, dass sie uns gehen lassen!«
»Jee.« Ich dachte, ich hätte zuvor schon Furcht gekannt, aber es war nichts verglichen mit dem, was ich jetzt spürte. Er hatte… was getan? Mein Verstand raste, um aufzuschließen. Er hatte die Wachen mit Drogen lahmgelegt, ja. Also hatte Alysse mehr als einen Honigkuchen geschickt, und Jee hatte sie behalten. Die ganze Zeit hatte er gehofft…
»Du hast Maggie gerettet, aber Ihre Gnaden nicht!«, warf mir Jee vor. Stephanie bewegte sich auf mich zu, aber Jee zog sie zu sich zurück. Von Jee festgehalten streckte sie sich nach meiner Hand aus und starrte Tarek mit vollkommenem Entsetzen an. Tarek, ihren Ehemann.
Der Junghäuptling sagte zu mir: »Hat der Hexenjunge sie befleckt?«
Ich wandte mich um. Seine Augen waren blaues Eis. »Befleckt? Mein Lord, er ist zehn Jahre alt!«
»Er ist aus dem Hexenland. Das hast du mir erzählt.«
Und das hatte ich in der Absicht, Tarek davon zu überzeugen, dass ich ein Antek war. Ich brachte keuchend hervor: »Er ist nur ein Kind.«
Stephanie befreite sich von Jees Hand und lief auf mich zu. Tarek sagte in unserer Sprache zu ihr: »Halt.«
Sie hielt an, als wäre sie angeschossen worden, auf halbem Weg zwischen mir und Jee. Jee trat zu ihr und nahm sie wieder bei der Hand. Ich glaubte nicht, dass sie dies überhaupt bemerkte, so gelähmt war sie vor Angst.
Dann ließ Tom– der furchtlose, polternde, unwissende Tom– ein lautes
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