Das Land jenseits des Waldes, Band I
jede Aufforderung mit einem schwungvollen Ruck erhoben sich auf einen Schlag alle anwesenden Lohenmulder Schüler. Und auch die Lehrer und Erzieher. Frau Professor Wechselberger führe mit ihren beiden Handflächen eine unaufgeregte, etwas beschwichtigende abwärtsgerichtete Bewegung aus.
»Bitte. Bleibt doch ruhig sitzen. Nur keine Aufregung. Entschuldigen sie bitte Lars, dass wir jetzt völlig unabgesprochen hier so herein platzen. Nur eine kurze Bekanntmachung von unserer Seite.«
Lars stellte die kleine silberne Glocke wieder auf den Tisch ab und nickte, während er wie die anderen Mulder wieder auf seinem Stuhl Platz nahm.
Herr Rechenberg reichte Frau Professor Wechselberger ein amtlich aussehendes, am unteren Ende gestempeltes Dokument. Sie runzelte daraufhin ihre Stirn.
»Nun, ich will es kurz und schmerzlos machen«, sagte sie dann betont sachlich. »Leider keine guten Nachrichten. Wir haben diese Woche einen positiven Drogentest. Eindeutig positiv. Die Konsequenzen nach den neuen Regeln sind euch allen bekannt?«
Herr Rechenberg nickte neben der Frau Direktor fast schon freudig erregt. Lars fixierte den Dessertlöffel auf dem Tisch vor ihm und hoffte inständig, es würde keinen der Mulder aus seinem Haus Nummer Eins treffen. Den anderen Muldern schwante nichts Gutes. Der Abend war für sie wohl alle gelaufen. Für einen unter ihnen ganz unzweifelhaft aber auch seine ganze weitere Schullaufbahn hier am Schloss.
Frau Professor Wechselberger räusperte sich nochmals kurz ihren Hals frei. Man merkte ihr deutlich an, dass sie diese Dinge im Prinzip viel lieber anders gehandhabt hätte. Mit mehr Entscheidungsspielraum im konkreten Einzelfall. So aber war sie an die Vorgaben des Stiftungsrates gebunden. Und die waren, wie es für Deutschland nun mal so typisch ist, absolut klar und eindeutig. Es gab nur schwarz oder weiß. Unschuldig oder schuldig. Punkt.
»Es liegt uns ein eindeutig positiver Befund vor«, begann sie mit stockender Stimme. »Und zwar für dich …, für dich … Andreas. Es tut mir alles sehr Leid.«
In diesem Augenblick konnte sie ihre Sympathie für den Übeltäter kaum mehr verbergen. Und ehe sie nun womöglich noch gar zu ihm hinüber ging, um ihn zu trösten, ergriff schnell Herr Rechenberg das Wort.
»Andreas!« begann er mit harter Stimme und zog ein Schriftstück aus seiner Jackentasche. »Du und deine Eltern haben das hier wie übrigens ja alle anderen Schüler und Eltern hier auch unterzeichnet.«
Tischi nickte und als daraufhin ein allgemeines Grummeln einsetzte, erinnerte Lars nochmals dezent silberfarben läutend daran, dass die Schweigezeit noch nicht aufgehoben worden war.
»Du bist daher hiermit ab sofort und unverzüglich nicht nur aus der Lohenmulder Gemeinschaft entlassen sondern damit auch auf Lebenszeit kein Lohenmulder mehr«, verkündete Herr Rechenberg nun ganz offiziell die zu ergreifenden Maßnahmen und im Gegensatz zu Frau Professor Wechselberger stand ihm so etwas wie innere Genugtuung ins Gesicht geschrieben. Endlich hatte er mal einen dieser Schnösel hier überführt. Briefmarke auf seinen Arsch und ab nach Hause. Frühzug. Morgen. Abfahrt 05:23 Uhr Königshofen.
Korrekt in Ton aber unbeugsam in der Sache ging es weiter: »Im Gegensatz zum Instrument der vorläufigen Suspendierung ist diese Entscheidung hier endgültig, unwiderruflich und ihre Umsetzung wird sofort vollzogen. Wenn ich dann also um deinen Pullover bitten dürfte, Andreas.»
Tischi blickte Herrn Rechenberg ungläubig an. Obwohl er die Worte akustisch wohl verstanden hatte, realisierte er ihre wahre Bedeutung wohl immer noch nicht vollständig. Was um alles in der Welt, war denn nun da in den vergangenen zwei Minuten über ihn hereingebrochen? Er verstand es nicht. Nicht wirklich.
»Was guckst du mich denn nun an wie ein ungeborenes Kalb?!« herrschte ihn Herr Rechenberg darauf an. Barsch und ungeduldig.
»Rede ich etwa undeutlich? Du hast ab sofort das Recht verloren, diesen Pullover noch weiter zu tragen. Ausziehen! Jetzt gleich!«
Tischi zögerte und blickte angesichts der ganzen, fast schon unwirklichen Situation im vollbesetzten Speisesaal nun doch deutlich eingeschüchtert zu Herrn Rechenberg hinauf. »Ich … ich hab nichts drunter an«, berichtete er Herrn Rechenberg der Wahrheit gemäß flüsternd, verschwieg aber gleichzeitig den Grund dafür.
Herr Rechenberg nickte daraufhin verständnisvoll, ganz so als wolle er in diesem besonderen Fall gerade noch einmal in seiner
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