Das Land jenseits des Waldes, Band I
unendlichen Güte Gnade vor Recht ergehen lassen.
Tischi wollte schon aufatmen.
»Das ist überhaupt kein Grund, mein Freundchen«, wurde er aber dann von oben herab angeschnauzt. »Und gerade für dich als voll austrainierten Leistungssportler schon gleich zweimal nicht! Da gibt es nun wirklich überhaupt keinen Grund, sich deswegen zu schämen. Schämen solltest du dich viel mehr für dein absolut unakzeptables Verhalten, das zu eben diesem Testergebnis geführt hat. Damit hast du letztlich nicht nur dich selbst diskreditiert, sondern du hast insgesamt die Glaubwürdigkeit der gesamten Lohenmulder Gemeinschaft nach innen wie auch nach außen in Frage gestellt. Kannst du dir eigentlich vorstellen, welche Orientierung du damit den jüngeren Schülern unten im Gutshof gibst? Also den Pullover her bitte, sonst zieh’ ich dir die Hammelbeine lang, dass du morgen früh von hier bis nach Königshofen zum Bahnhof in einem Satz springen kannst.«
Mit erkennbarer Anstrengung zog sich Tischi nun langsam und mit widerstrebender Mühe seinen persönlichen offiziellen Lohenmulder Schulpullover über den Kopf und übergab ihn zögernd an Herrn Rechenberg. Der drehte sich um und strebte unverzüglich zusammen mit Frau Professor Wechselberger, die dem gesamten Schauspiel zwar leidend aber dann letztlich den Sachzwängen gehorchend doch schweigend beigewohnt hatte, hinaus in Richtung Lobby. Als sich die beiden anschickten, den Saal zu verlassen, hatten sich erneut alle Mulder von ihren Stühlen erhoben. Alle bis auf Tischi. Der blickte irgendwo ins Leere. Und schwieg. Was hätte er auch noch sagen sollten? Passivrauchen? Im Auto? Im Zugbistro? Auf einer schlecht klimatisierten Zugtoilette? Im Hotelfahrstuhl während des Trainingslagers? Auf der Hotelterrasse bei der dortigen Abschlussparty ? Oder doch ziemlich betrunken unvorsichtig gewesen? Irgendwie. Irgendwo. Irgendwann? Vielleicht hätte er sich auch besser nicht in nicht mehr so ganz nüchternen Zustand von der Mannschaftsphysiotherapeutin auf ihr Hotelzimmer einladen lassen sollen, während dieses Lehrgangs seiner Nationalmannschaft auf dem Hintertuxer Gletscher. Die musste ja keine Dopingkontrolle befürchten. Und hielt sich womöglich privat selbst in keinster Weise an das, was sie den ihr anvertrauten Sportlern tagsüber ständig predigte.
Wie auch immer. Ausflüchte zählten in diesem Fall nicht. Nicht hier in Lohenmuld. Fazit: Game Over!
Vorne läutete Lars mit der kleinen silbernen Glocke nun das Ende der Schweigezeit ein. Sofort begann eine angeregte Unterhaltung unter den Muldern, während der Tischdienst nun mit etwas Verspätung endlich das Dessert servierte. Wie zum Trotz servierten sie auch Tischi sein für ihn vorgesehenes, eigentlich heiß geliebtes Tiramisu.
Doch er brachte an diesem Abend nichts mehr runter, blickte nur noch mit trüben Augen hinüber auf sein leer gebliebenes Weißweinglas.
»Ich hab ihn dann gefragt«, schloss Jan seine Erzählung und nahm im Innenhof einen letzen tiefen Zug aus seiner Zigarette, »ob er sein köstliches Tiramisu überhaupt noch will?«
Jan fuhr sich genüsslich über seinen nun wirklich nicht gerade schlanken Bauch. »Und. Es war wirklich in all den langen Jahren hier das erste Mal, dass ich zum Nachtisch zwei Portionen bekommen hab.«
Unmittelbar nach diesem Abendessen wurde Tischi dann nach unten ins Labor des Arztzimmers zitiert. Dort wurde unter der ärztlichen Aufsicht von Frau Doktor Kummerfeld und in Anwesenheit von Herrn Rechenberg sowie eines Notars aus Königshofen eine weitere rechtssichere Urinprobe vorgenommen.
Schließlich ging es nicht nur um Tischis schulisches Schicksal sondern nebenbei bemerkt auch noch um jede Menge Geld.
Knars, der sich an die mühevolle Prozedur der Ablieferung seiner eigenen Pisse von heute Nachmittag erinnerte, fragte sich instinktiv, wie der arme Tischi unter den kontrollierenden Blicken dieser drei offiziellen Amtsträger, und darunter ganz besonders unter der direkten Beobachtung von Frau Doktor Kummerfeld auch nur einen einzigen Tropfen in den Becher gebracht hatte.
Ganz offenbar gab’s hier bei Tischi solche Probleme nicht. Und schon der Schnelltest mittels Teststreifen war wieder eindeutig und sehr deutlich positiv. Der Rest des Bechers wurde versiegelt, beglaubigt und von Frau Doktor Kummerfeld und dem Notar noch an diesem Abend persönlich in ein Speziallabor gebracht.
Game Over!
Tischi blieb zurück. Draußen auf dem Flur vor dem Labor. Wie
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