Das Land jenseits des Waldes, Band I
wenigstens darum zu bemühen, in einer gewissen Form darauf Rücksicht zu nehmen. Auch wenn er subjektiv betrachtet nach seiner Überzeugung wohl allen Grund gehabt hätte, den Neuen hier einfach mal so richtig brutal, so richtig heftig auflaufen zu lassen und es ihm damit hier so richtig schwer zu machen.
So wie er war, stellte sich Knars ans Fenster und blickte hinunter in Richtung Schloh , die ihrem Namen in dieser Nacht wieder einmal mehr als nur gerecht wurde. Komischerweise war ihm dabei überhaupt nicht kalt. Außer weißem Dunst war da draußen nichts zu erkennen. Absolut nichts. Wenn also irgendwelche Meerjungfrauen oder was für Zeug sich auch immer da unten in diesem komischen See tummeln mochte, nun auf den nächtlichen Gedanken käme, nach einer brennenden Kerze in einem der Fenster hier im Schloss Ausschau zu halten, sie würden nichts erkennen können. Auch wenn sie sich wirklich darum bemühten.
Nachdem er Tischis nachgelassenen Schlafanzug übergezogen hatte, ging er nach vorne zu seinem Waschbecken an der Wand vor seiner Schranktür. Leider musste er dort feststellen, dass offenbar sein gesamtes Zahnputzzeug, das er sich doch erst noch heute Mittag während der Fahrt in einem Drogeriemarkt auf dem Weg nach Königshofen neu zugelegt hatte, mit der schwarzen Stofftasche zusammen verloren gegangen war. Heute früh vor der Abfahrt war er wie üblich wieder einmal nicht rechtzeitig genug aus dem Bett gekommen und hatte während der dann natürlich zwangsläufig folgenden Hektik seine eigentlichen Dentalutensilien bei sich zu Hause im Bad liegen lassen. Er würde wohl Jan fragen müssen.
Jan klopfte erst dreimal vom Inneren des Badezimmers aus und fragte Knars dann, ob er auch wirklich schon wieder fertig angezogen sei. Erst dann kam er zurück ins Zimmer. Den oberen Teil seines Schlafanzuges trug er dabei noch in der Hand.
Er bemerkte Knars’ nicht wenig staunenden Blick, mit dem der schon zuvor die für Jans Alter bereits kräftig mit dunklen Haaren zugewachsene Brust seines Mitbewohners fixiert hatte.
»Dieses ganze Fell hier ist bei weitem der effektivste Schutz gegen all diese feuchte Kälte hier«, lachte Jan und fuhr sich kurz mit seiner Hand über den betreffenden haarigen Bereich seines robusten Körpers, bevor er sich wieder seinen Schlafanzug darüber zog.
Auch Knars fand es dieses Mal irgendwie witzig. Wenigstens im Ansatz. Die Anhaltspunkte verdichteten sich, dass der Mensch eben doch in einer direkten Linie vom Affen abstammte. Zumindest hier in diesem Zimmer.
Natürlich teilte Jan dann mit Knars auch gerne seine Zahnpasta und selbstverständlich auch sein Mundwasser. In Knars’ Nachttischschublade fanden sich im übrigen auch noch zwei original versiegelte Zahnbürsten, die auch einst der gute Tischi dort deponiert hatte. Mittlerweile fühlte sich Knars schon wie der letzte Schmarotzer. Aber immerhin nahm er dann wenigstens einen der Wegwerfplastikbecher, die neben den Wasserflaschen im Zimmer standen, als Zahnputzbecher. Hier musste er die abstrakte Hilfe vom Tischi endlich einmal nicht in Anspruch nehmen. Und er war sogar so richtig froh darüber.
»Habt ihr hier denn gar keine Fernseher? Nicht einmal zu ganz bestimmten Zeiten in irgendeinem abgetrennten Bereich in den Gemeinschaftsräumen?« fragte Knars dann, als sie sich beide hingelegt und zugedeckt hatten und gemeinsam das Lichtlöschen erwarteten.
»Also, wenn du während des laufenden Trimesters ohne überhaupt nicht klar kommst«, antwortete Jan und verschränkte seine Arme unter dem Kopf, »dann musst du dich halt in die Wohnung von einem Lehrer oder einem der Erzieher einladen lassen. Oder noch besser selber einladen. Oder, wenn das alles nicht fruchtet, dich halt bei Herrn Bulkovic einschleimen.«
Für manche Mulder waren halt ganz bestimmte Sportübertragungen absolut unverzichtbar. Seien es nun Skirennen oder Champions League Spiele im Fußball mitten unter der Woche. Insbesondere die Lehrer, die hier im Schloss allein lebten, waren manchmal ganz froh über diese Art der Gesellschaft, die aber natürlich niemals einen tagtäglichen oder allabendlichen Dauerzustand darstellten sollte, sondern in aller Regel vielmehr eine Ausnahme war.
Absolut pünktlich wie immer ging dann das Licht aus. Lichtlöschen in den Schülerzimmern hieß dabei hier aber vielmehr, dass dort schlicht und einfach der Strom abgedreht wurde. Selbst wenn man wollte, konnte man nun kein Licht mehr anknipsen. Musste man nachts zum Pissen, war
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