Das Land jenseits des Waldes, Band I
daher eine Taschenlampe empfehlenswert, die Jan drüben in seinem Bett zu Demonstrationszwecken bereits leuchtend über seinen Kopf hielt, obwohl die Kerze im Fenster heute in dieser zumindest für Knars ganz besonderen Nacht eigentlich schon hell genug ihr flackerndes Licht spendete.
»Komm gut rüber«, sagte Jan dann noch, bevor er seinen Körper unter dem Stöhnen des Lattenrosts zum Pennen auf die Seite wuchtete und sich die Fußbodenheizung automatisch auf ihren nächtlichen Minimalmodus herunter schaltete, da in den Schülerzimmern ja keine regelbaren Heizkörper angebracht waren.
Knars murmelte noch etwas, was Jan aber nicht wirklich verstehen konnte, dann drehte auch er sich auf die Seite und seine Gedanken gingen verschwommen auf eine weite Reise zu seinem Vorgänger, in dessen Bett, unter dessen Decke und auf dessen Kopfkissen er sich nun gerade schlafen gelegt hatte.
11 Des heures sans sommeil
E s war absolut zum Verzweifeln. Knars lag warm eingepackt in seinem Bett. Hinter ihm flackerte bei halb zugezogenen Vorhängen die Kerze im Fenster. Er war total erschöpft. Unendlich müde. Und ausgerechnet jetzt, wo er eine Erholung so dringend nötig hatte, konnte er nicht schlafen.
Auf der anderen Seite des Zimmers atmete Jan tief aber trotz seines bedenklichen Zigarettenkonsums immer noch erstaunlich ruhig. Von Röcheln keine Spur. Noch.
Jan war sofort fest eingeschlafen, kurz nachdem vorher das Licht ausgegangen war. Nun wusste Knars, was Jan vorher mit Komm gut rüber gemeint hatte. Doch die Reise ins Reich des nun endlich entlastenden Schlummers wollte ihm einfach nicht gelingen . Und je mehr er sich dorthin wünschte, genau umso weiter entfernte er sich davon.
Knars fühlte, wie seine Kräfte nun endgültig dahinschwanden. Morgen früh würde er dann wie ein Zombie hier im Schloss durch die Gänge schleichen. Ausgeblutet. All seine Energie verloren. Fertig.
Obwohl er eigentlich Französisch lernte, war er mit seinem Latein jetzt absolut am Ende. Und weil er sich mit nichts anderem mehr zu helfen wusste, presste er schließlich sein Gesicht ganz tief in sein weiches Kissen und begann zu weinen. Er hoffte nur, Jan würde davon nicht aufwachen.
Er hatte sich offenbar selbst völlig falsch eingeschätzt. Maßlos überschätzt. Er war weder stark noch selbstständig. Eher wie ein abgefallenes ausgetrocknetes Blatt, das im Herbstwind gnadenlos und völlig hilflos umhergeweht wurde. Und das Schlimmste daran war: Er konnte nicht einmal jemand anderem die Schuld dafür geben. Beispielsweise irgendwelchen Eltern, die Druck oder gar Psychoterror ausgeübt hatten, damit er hierher an diese Schule ging. Das war ja überhaupt nicht der Fall gewesen. Er wollte es ja von sich aus. Er hatte sich sogar gefreut, als er hier überraschend diesen Platz angeboten bekam. Nie hatte er gedacht, dass er sich damit sein eignes feuchtes Grab schaufeln würde. Das war es, was ihn so total fertig machte. Und in genau diesem Augenblick brach er laut heulend emotional zusammen.
Jan schreckte hoch. Zusammengekauert hörte er seinen neuen Zimmerkameraden im festlichen Kerzenschein in seinem ganzen aufgestauten Elend wimmern.
Zu früh gefreut, dachte er sich. Jetzt machte der Neue hier in seinem Zimmer doch noch ungeplante nächtliche Probleme. Bei dieser Flennerei da drüben konnte ja noch nicht mal ein nachtaktives Wildschwein aus den Wäldern hier in der Umgebung wieder entspannt einpennen.
»Komm, Alter. Mach Schluss mit der Flennerei!« rief er zu Knars ins Dunkle hinüber. »Du weckst ja sonst noch das ganze Haus auf. Lass uns lieber zusammen eine rauchen gehen.«
Knars schleppte sich aus seinem Bett. Es war ihm unangenehm. Es war ihm peinlich. Er schämte sich maßlos. Er war völlig fertig. Beide setzten sich jeweils auf ein kleines Kissen auf dem Boden vor den Schreibtischen und streckten dabei ihre Beine aus. Das war zwar irgendwie inkorrekt, informell, an den Füßen ziemlich kalt und auch sonst nicht sonderlich gemütlich, aber eben genau das schaffte sofort die notwendige Atmosphäre der Vertrautheit, die zwischen den beiden in diesem Augenblick so dringend notwendig war.
Jan brach einen seiner Nikotinkaugummis in der Mitte auseinander und gab Knars die andere Hälfte.
»Mit diesen Kaugummis hier …« begann er und machte eine kurze Pause. »Es ist irgendwie wie wichsen, wenn du eigentlich vögeln willst.«
Typisch Jan, dachte sich Knars. Ausgerechnet gerade diesen derben Vergleichmusste er sich jetzt
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