Das Land zwischen den Meeren
die vor Aufregung zitterte. Ein tiefer Blick, dann umarmte er sie flüchtig, wobei ihre Schultern sich leicht berührten, und stieg in seinen Einspänner. Er wandte sich noch einmal um und winkte. Dorothea sah ihm nach, bis die Kutsche hinter einer Weggabelung den Blicken entschwand. Fühlte sich angesichts seiner Zurückhaltung einerseits verwirrt, andererseits aber auch gerührt. Oder hatte Antonio in Wirklichkeit ein feuriges Temperament und besaß nur ein großes Maß an Selbstbeherrschung?
Sie spürte Tropfen auf dem Gesicht und betrat ihre Hütte. Binnen weniger Sekunden ging ein heftiger Regenguss nieder, tropfte wie ein Vorhang aus Perlenschnüren vom Dach, das mit Palmwedeln gedeckt war. Sie stellte sich in den Türrahmen und lauschte mit geschlossenen Augen dem steten Prasseln. Und beschloss, Antonio eine gute Ehefrau zu sein, aber auch eine echte Costaricanerin zu werden.
Mai bis Juli 1850
Sie hatte es sich an ihrem wackeligen Tischchen mit einer Tasse Kakao gemütlich gemacht, um Diktate zu korrigieren. Da hörte sie draußen vor der Hütte das Getrappel von Pferdehufen. Das konnte nur Antonio sein. Allerdings waren sie für diesen Tag gar nicht verabredet. Dorothea sprang auf und ordnete ihr Haar vor dem kleinen ovalen Spiegel neben der Tür. Wenn sie schon ihren Verlobten in einer so bescheidenen Behausung empfangen musste, dann wollte sie für ihn umso strahlender erscheinen. Antonio trat ein und begrüßte sie mit dem üblichen Handkuss, den er stets mit Eleganz und Nonchalance ausführte. Umständlich und betont langsam zog er einen Briefumschlag aus der Jacke und hielt ihn ihr mit einem Augenzwinkern entgegen.
Dorothea schlug das Herz bis zum Hals. Was mochte der Umschlag enthalten? Etwa wirklich das ersehnte Ende ihrer Abhängigkeit von Jensen, das Ende von Albträumen und Illegalität? Ihre Finger zitterten, als sie den Umschlag öffnete. Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Und dann hielt sie ihre Papiere, die Bordkarte und die Aufenthaltsgenehmigung in Händen.
Ein Stein fiel ihr vom Herzen. Endlich konnte sie das leidige Kapitel Erik Jensen abschließen. Sie war frei, endgültig frei, und der Kaufmann konnte sie nie wieder belangen. »Danke, Antonio. Wie auch immer du das geschafft hast … Ach, ich will es lieber gar nicht erfahren!« Voller Freude reckte sie sich und schlang ihm die Arme um den Hals, fühlte seine warme, glatt rasierte Haut an ihrer Wange, die Haare über dem Ohr, die an der Nase kitzelten, roch den Duft des würzigen Rasierwassers, spürte seinen Atem im Nacken. Es tat gut, einen Menschen zu umarmen. Ihren zukünftigen Mann zu umarmen, der bisher immer so zurückhaltend gewesen war. Ein wenig zu zurückhaltend für ihren Geschmack. Ihre Wangen glühten, ihr Herz schlug schneller, als Antonio die Berührung erwiderte, ihr die Hände um die Taille legte und sie sacht an sich zog. Dorothea unterdrückte ein Seufzen, gab sich ganz der Umarmung hin, die ewig hätte dauern können.
Als sie sich wieder von Antonio löste, blickte sie verlegen zu Boden. Womöglich war sie doch zu forsch gewesen und hatte den Verlobten brüskiert, vielleicht waren die Costaricaner dezenter, verhaltener und zurückgenommener als die Deutschen, wenn es um das Miteinander künftiger Ehepartner ging. Sie lebte in einer anderen Kultur, die ihr noch fremd war. Und sie wollte nicht gegen die Landessitten verstoßen.
Doch Antonio lächelte, während sich feine Fältchen um seine Augen bildeten. Offenbar hatte sie ihn ermutigt, denn er nahm ihre Hände in die seinen, beugte sich vor und küsste sie auf beide Wangen, auf die Stirn, dann wieder auf die Wangen. Wohlige Schauer liefen ihr über den Rücken. Mit geschlossenen Lidern wanderte ihr Mund über Antonios Gesicht, bis sie seine Lippen fand, die zuerst aufeinander gepresst blieben, sich langsam öffneten und den Kuss erwiderten. Dem weitere folgten. Erst vorsichtig. Dann mutiger. Und schließlich entschlossen.
Die folgenden Wochen vergingen für Dorothea viel zu schnell. Das Aufgebot wurde bestellt, und mit dem Tag der Eheschließung würde sie die costaricanischen Bürgerrechte erhalten. Auf der Hacienda mussten die Zimmer im Westflügel des Wohnhauses renoviert werden, die sie und Antonio künftig bewohnen sollten. Sie überließ es ihm, die Möbel auszuwählen, während sie die Vorhangstoffe aussuchte. Zartgelb mit Rosenranken, die duftig und leicht fielen und einen reizvollen Kontrast zu den dunklen Mahagonimöbeln bildeten. Isabel, die
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