Das Land zwischen den Meeren
kaum von seiner zukünftigen Frau zu wenden. Er wirkte leicht erschöpft, aber auch siegesgewiss, als sei er nach vielen Mühen endlich ans Ziel gelangt. Der maßgeschneiderte Seidenanzug betonte seine Figur aufs Vorteilhafteste. Es war ein schönes Paar, das Dorothea vor sich sah. Als die beiden die Ringe tauschten, zitterten ihre Hände. Dabei hatte die Braut Mühe, den Ring über den Finger ihres Ehemannes zu streifen. Der Ring schien zu eng, blieb zwischen dem ersten und zweiten Fingergelenk stecken. Schließlich kam der Bräutigam seiner Braut zu Hilfe. Er ruckte mehrere Male an dem Ring, dann saß er an der richtigen Stelle.
»Und so erkläre ich euch zu Mann und Frau«, sprach der Geistliche mit getragener Stimme.
Das Paar tauschte einen flüchtigen, keuschen Kuss, und in diesem Moment, als Dorothea Antonios Lippen auf ihrem Mund spürte, wurde ihr bewusst, dass sie die ganze Zeit sich selbst beobachtet hatte. Sie legte eine Hand auf Antonios Arm, und gemeinsam schritten sie durch den Salon, vorbei an den Gästen, die, je nach Gemütslage, applaudierten, sich die Augen wischten oder dem Paar stirnrunzelnd hinterherblickten.
Draußen im Garten erwartete eine Gruppe indianischer Musikanten die Hochzeitsgesellschaft. Sie trugen Kostüme in den Landesfarben Blau, Weiß und Rot und dazu breitkrempige flache Strohhüte. Mit lauten Jubelrufen ließen sie die Brautleute hochleben. Dann defilierten die Gäste der Reihe nach an dem Paar vorbei, um zu gratulieren und einige persönliche Worte vornehmlich an den Ehemann zu richten, den die meisten seit vielen Jahren kannten. Die Hochzeitsgäste hatten zu dieser Feier ihre Festgarderobe angelegt. Die Männer im Frack, die Frauen im festlichen Kleid. Für Letztere ein willkommener Anlass, sich etwas Neues nähen zu lassen. Sehr zur Freude der ortsansässigen Schneiderinnen, die Seide, Taft und Brokat nach Schnittmustern aus französischen Modeheften verarbeiteten und ohne Scham die höchsten Preise verlangen konnten. Weil die Damen an nichts sparen wollten. Auch wenn Spanisch die Landessprache war und das Temperament der Ticos dem der Spanier glich, die einst Costa Rica erobert hatten, so orientierte man sich in gehobenen Kreisen in Modefragen an Frankreich, ähnlich wie auch die übrigen Europäerinnen.
Antonio stellte seiner frisch angetrauten Frau jeden einzelnen Gast vor. Geschäftspartner, Bekannte und Freunde seines Vaters, ehemalige Lehrer, Ärzte, Schulfreunde mit den jeweiligen Ehefrauen. Dorothea schüttelte unzählige Hände, konnte sich die vielen Namen und Gesichter gar nicht merken. Aber sie lächelte, erklärte, wie sehr sie sich freue, jeden von ihnen kennenzulernen. Wechselte hier einige Worte mit einem Bankier, scherzte dort mit der Ehefrau eines Apothekers und schmunzelte über den Witz eines ehemaligen Kapitäns, der zu den langjährigen Freunden der Familie zählte.
Sie befand sich in einem eigenartigen Schwebezustand. Ihr altes Leben schied gerade endgültig von ihr, um dem neuen zu weichen. Den aufmunternden Blicken Antonios zufolge machte sie ihre Sache gut. Insbesondere die männlichen Gäste schienen von der Braut und ihrer unaufdringlichen, herzlichen Art höchst angetan zu sein. Ein Wermutstropfen war allerdings der Umstand, dass Elisabeth nicht hatte kommen können. Die Freundin lag mit Fieber danieder und war untröstlich, bei diesem wichtigen Ereignis nicht anwesend sein zu können. Der Brief hatte Dorothea erst einen Tag vor der Hochzeit erreicht. An Elisabeths Stelle als Trauzeugin war Johanna Miller getreten, die mit dem Trauzeugen des Bräutigams, einem Schulfreund Antonios, der nahezu sechseinhalb Fuß lang und dünn wie ein Palmenstamm war, ein höchst ungleiches, aber durchaus sympathisches Paar abgab.
Auf ein Zeichen Pedros hin nahmen die Gäste an den festlich gedeckten Tischen ihre Plätze ein. Auch hier waren Tischtücher, Geschirr und der Blumenschmuck in den Landesfarben gehalten. Gestärkte weiße Damastdecken mit blau gerändertem Porzellan, dazu verschiedenste Arten von rot blühenden Orchideen, zu kunstvollen Gestecken arrangiert. Pedro sprach einen Toast auf das Brautpaar aus und hieß Dorothea als neues Familienmitglied willkommen. Dann dankte er seiner Ehefrau, die ihm seit sechsunddreißig Jahren treu und ergeben zur Seite stand. Isabel blickte schwärmerisch zu ihrem Gatten auf, und wären da nicht die Spuren des Alters in ihrem Gesicht zu lesen gewesen, man hätte sie für eine frisch verliebte Braut halten
Weitere Kostenlose Bücher