Das Land zwischen den Meeren
erdulden müssen. Ihre verlorene Liebe, die Fehlgeburt, ihr überstürzter Aufbruch von zu Hause, die Überfahrt, die Zeit bei Jensen und die Flucht vor ihm, der Neuanfang in der Siedlerschule …
Sie wollte schlafen, träumen und vergessen. Ihre Lippen formten ein lautloses Gebet. »Heilige Maria, Mutter Gottes, ich bitte dich um ein Zeichen, das mir den rechten Weg weist.«
Dorotheas Herz klopfte vor Aufregung, als sie endlich den Brief in Händen hielt, der nach Bergamotte roch, Elisabeths Lieblingsduft. Dorothea wollte, was auch immer in zierlichen, dekorativen Buchstaben auf dem fliederfarbenen Papier geschrieben stand, als das erflehte Zeichen des Himmels annehmen. Sie schloss die Augen, atmete tief ein und aus, bevor sie mit fahrigen Händen das Siegel aufbrach. Nur drei kurze Zeilen standen auf dem Papier.
Was zögerst Du, Aschenbrödel? Heirate diesen Prinzen! Busserl, Elisabeth.
»Ich danke dir, Dorothea. Du siehst in mir den glücklichsten Mann Costa Ricas.« Antonio ergriff ihre Hand und drückte sie fest an die Brust. Er erhob sich von dem wackeligen Holzstuhl in Dorotheas Hütte und kniete vor ihr nieder.
»Bitte, schließ für einen Moment die Augen!«
Überrascht folgte Dorothea seinem Wunsch. Als sie die Augen wieder öffnete, entdeckte sie in Antonios Hand eine kleine Schatulle, in der ein Ring mit einem ovalen Saphir funkelte, ringsum eingefasst von Brillanten. Sie hielt den Atem an, glaubte zu träumen. »Der ist ja … wunderschön! Und der große Stein hat genau die Farbe des Schmetterlings, den wir neulich oben auf dem Berg gesehen haben.«
»Dann habe ich offensichtlich die richtige Wahl getroffen«, stellte Antonio zufrieden fest. »Ich hatte deinen Blick bemerkt und mich deswegen für diese Farbe entschieden.«
»Aber du wusstest doch gar nicht, wie ich antworten würde.«
»Nun, ich hatte es gehofft.«
Dorothea streckte die Hand nach dem Ring aus. Räusperte sich, suchte stockend nach den passenden Worten. Denn was sie Antonio zu erzählen hatte, lastete schwer auf ihrer Seele. Sie zog die Hand zurück. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses Geschenk annehmen darf. Du musst etwas wissen, Antonio … weil es unter Umständen eine Hochzeit … schwierig machen würde. Wenn nicht gar unmöglich.«
Antonio erhob sich und ließ sich stirnrunzelnd auf dem Stuhl nieder, trank einige Schlucke von dem Hibiskusblütentee, den Dorothea aufgebrüht hatte. »Ich könnte mir nichts dergleichen vorstellen.«
»Es ist nämlich so …« Dorothea faltete die zittrigen Hände im Schoß und heftete den Blick auf die Zeichnung einer gelben Orchideenblüte an der Holzwand, die Klara Meier für sie angefertigt hatte. Dann gab sie sich einen Ruck und schüttete Antonio ihr Herz aus. Erzählte von der gestohlenen Geldbörse, dass Jensen ihr die Überfahrt bezahlt hatte und sie dafür ein Jahr lang in seinem Laden hatte schuften müssen. Dass er nunmehr ihre Papiere nicht herausgeben und sie nötigen wollte, auch weiterhin für ihn zu arbeiten. Die Tatsache, dass Jensen versucht hatte, sie zu vergewaltigen, und sie ihm in letzter Minute entkommen war, verschwieg sie lieber. Immer leiser und zögernder sprach sie, während sie beobachtete, wie Antonios Gesicht plötzlich ganz ernst wurde. Schon befürchtete sie, er werde aufstehen und davonlaufen. Und sie nie, nie wieder sehen wollen.
Doch Antonio saß ganz gelöst mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Stuhl, schüttelte nur halb verwundert, halb verärgert den Kopf und drückte sacht Dorotheas Arm. »Mach dir deswegen keine Gedanken, meine Liebe. Ich regle das. Und glaub mir, binnen kürzester Zeit wirst du deine Papiere haben. Mir tut es nur leid, dass du wegen dieses Kaufmanns so viel Ärger hattest. Aber was ist denn, Dorothea, sehe ich da etwa eine Träne?«
Dorothea zwinkerte heftig und suchte vergeblich nach einem Taschentuch in der Rocktasche. »Ich bin so erleichtert, weil ich dachte … ich dachte nämlich …«
Antonio reichte ihr sein Taschentuch. »Nie wieder will ich eine Träne in diesem hübschen Gesicht sehen, hörst du? Und jetzt wollen wir von etwas anderem sprechen.«
Als Antonio eine Stunde später aufbrach, weil er vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein musste, klopfte ihr Herz wild und laut. Ganz sicher würde Antonio sie zum Abschied küssen wollen. Zärtlich, innig und verheißungsvoll, wie Verlobte einander küssen. Er verbeugte sich formvollendet, seine Lippen näherten sich bis auf einen Fingerbreit ihrer Hand,
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