Das Land zwischen den Meeren
die größte, die in San José jemals stattgefunden hatte. Das war sie ihrem Mann schuldig, seiner Position und auch sich selbst. Jeder sollte sich noch Jahre später an dieses Fest erinnern. Alles sollte erlesen und kostbar wirken. Das Geschirr, die Gläser, das Besteck und die Tischdekoration. Schließlich bekam sie keine zweite Gelegenheit, alles aufzubieten, was gut und teuer war. Nie wieder könnte sie eine solche Feier im eigenen Haus ausrichten, denn Antonio war ihr einziges Kind. Mit Erleichterung hatte sie seinen Entschluss zur Kenntnis genommen, sich endlich vermählen zu wollen. Wenngleich sie nicht verstand, warum es ausgerechnet diese blasse, magere Deutsche sein musste. Ein Mädchen ohne Familie und ohne Geld. Was mochte sie nur haben, das den anderen hübschen, reichen Mädchen fehlte, die sie ihrem Sohn seit Jahren als künftige Gattinnen vorgeschlagen hatte?
Im Freundes- und Bekanntenkreis hatte Antonios Wahl ebenfalls Befremden ausgelöst. Doch Isabel ließ sich ihre eigene Verunsicherung nicht anmerken, lobte vielmehr wortreich Dorotheas Bildung und ihre gewandten Umgangsformen, betonte allerorts, dass die junge Frau aus einem guten Elternhaus stamme und sie und ihr Mann hocherfreut seien, eine solche Schwiegertochter zu bekommen. Denn nichts war wichtiger, als das Gesicht zu wahren. Niemand sollte auf den Gedanken kommen, die Familie des reichsten und mächtigsten Kaffeebarons sei nicht auch die glücklichste im Land.
Wenn es nur am zweiundzwanzigsten Juni den ganzen Tag über trocken bliebe! Sie erinnerte sich an ihre eigene Hochzeit, die nunmehr sechsunddreißig Jahre zurücklag. Natürlich hatte es damals seit dem Mittag geregnet. Dann war auch noch die Plane an der Stelle, wo das Brautpaar saß, undicht gewesen, und ein Schwall Regenwasser hatte sich auf die Hochzeitstorte ergossen. Diese Jahreszeit eignete sich einfach nicht zum Heiraten.
Obwohl … Pedro und sie hatten nur vier Wochen früher geheiratet, Ende Mai. Weil sie nicht länger hatten warten können. Isabel war guter Hoffnung gewesen, und die Zeitspanne hatte gerade noch gereicht, Antonio glaubhaft als Frühgeburt auszugeben. Ob etwa … ob Dorothea auch schwanger war? Und ihr Sohn es deswegen so eilig hatte? Auf diesen Gedanken war sie bisher noch gar nicht gekommen. Aber nein, das konnte sie sich eigentlich nicht vorstellen. Antonio tat so etwas nicht. Nicht vor der Ehe. Dazu war er viel zu zurückhaltend. Und seine Zukünftige wirkte keineswegs, als wisse sie um gewisse Dinge zwischen Mann und Frau Bescheid. Und falls doch … nun, dann würde auf der Hacienda schon bald Leben einkehren. Man würde Kinderlachen hören, und Pedro würde hoffentlich häuslicher werden. Nicht mehr so oft unterwegs sein, irgendwo, wo sie aus seinem Leben und seinen Gefühlen ausgeschlossen war … schon seit schieren Ewigkeiten.
Mit zitternden Händen nahm sie eine Tasse frisch aufgebrühten Tee und gab einige Tropfen von dem Seelentrost hinein, den ihr alter Arzt ihr vor vielen Jahren verschrieben hatte und der sie sanftmütig und milde stimmte. Der Vergessen schenkte und ihr in der Nacht einen tiefen Schlaf bescherte, wenn wieder einmal der bohrende Schmerz ihr Inneres peinigte. Weswegen ihr neuer Hausarzt diese Rezeptur erst nach anfänglichem Widerstreben übernommen hatte. Ja, das tat gut. Noch ein Schluck … und ein weiterer … Isabel überkam eine angenehme Müdigkeit. Sie musste sich ausruhen. Für heute hatte sie genug geplant. Jetzt war es Aufgabe der anderen, ihre Anweisungen umzusetzen. Noch sechs Wochen, dann wäre das Fest überstanden.
Dorothea beobachtete, wie das Brautpaar niederkniete und den Segen des Priesters empfing. Es war ein berührender Anblick. Würdevoll und wunderschön. Die erhobenen Hände des Geistlichen schwebten wie ein Sinnbild des Heiligen Geistes über den Köpfen des Paares. Die Braut hatte das Haar zu kunstvollen Zöpfen aufgesteckt und trug einen mit Blüten und Ranken bestickten Schleier, der ihr wie ein Wasserfall über den Rücken fiel und bis zu den Knöcheln reichte. Er bildete einen Kontrast zu dem schlichten Kleid und formte beides zu einem harmonischen Ganzen. Wangen und Lippen der jungen Frau schimmerten rosig, ihr Gesicht leuchtete. Es lag etwas Ungläubiges in ihren Augen und etwas Entschlossenes in ihrem Lächeln. Ihre schlanke Gestalt wirkte ätherisch, schien geradewegs dem Gemälde eines vergangenen Jahrhunderts entstiegen zu sein.
Der Bräutigam vermochte während der Zeremonie den Blick
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